Hallo Annalisl!
Ich möchte Dir zu allererst schreiben, wie gut ich es finde, dass Du Dir diese Gedanken überhaupt machst!
Ich habe Deinen Beitrag schon gestern gelesen, schreibe aber normalerweise schon lange keine Beiträge mehr.
Nun habe ich als HML sehr gespannt beobachtet, was für Antworten Du denn bekommen wirst. Vielleicht wunderst Du Dich, dass nichts kommt… mich wundert es nicht. Dass nichts kommt, bedeutet meiner Meinung nach nicht, dass sich keiner für das Thema interessiert, sondern dass DU einen sehr wunden Punkt getroffen hast. Bei jedem von uns - den aber die meisten normalerweise lieber verdrängen…
Natürlich könnte man sagen "ach, solch kleine Schwächen verzeihen die Pferde, das ist nicht so schlimm"… oder auch "da müssen sie durch, keiner von uns ist perfekt"… stimmt auch irgendwo - wir Reiter sind wirklich alles andere als perfekt. Trotzdem hast Du Recht - müssen unsere Pferde tatsächlich mit unseren technischen aber auch menschlichen Schwächen klarkommen?
Schlussendlich bleibt ihnen tatsächlich nichts anders übrig und da sie praktischerweise nicht über einen Schmerz- oder Protestlaut verfügen, klappt das ja auch trotz unserer Defizite recht gut. Deshalb ist es so wichtig sich selbst immer wieder zu beobachten - so wie DU es tust!
Umso wichtiger Dein Denkansatz… wieviel ist den Pferden zuzumuten und wieviel Schwäche dürfen wir uns wirklich zugestehen.
Manchmal ist es ja auch wirklich zum Verzweifeln. Man geht arbeitet um Geld zu verdienen um sich sein Pferd leisten zu können. Man sorgt sich, tut alles was man kann, nach besten Wissen und Gewissen und dann kommen immer mal wieder diese kleinen Widersetzlichkeiten die sich, mal ganz schlicht vermenschlicht, irgendwie so unnötig oder sogar "undankbar" anfühlen. Klar wissen wir, dass das Quatsch ist - aber wir sind halt tatsächlich nur Menschen…
Und deshalb glaube und hoffe ich, dass es jedem von uns ab und an so geht wie Dir. Mir auf jeden Fall. Deshalb finde ich Deinen Text überhaupt nicht wirr sondern im Gegenteil, sehr nachvollziehbar.
Nun zu den konkreten Geschehnissen:
Der Weg zum Nachbardorf:
Was meinst Du, warum dreht sie dort immer so auf?
- vielleicht Stallmut? Hat sie vielleicht zuhause nicht genug Möglichkeiten sich zu bewegen, so dass sie einfach übersprudelt vor aufgestauter Energie? Wenn das der Fall ist, gibt es eine Möglichkeit sie zuhause VOR dem Aufbrauch zum Ausritt schon ein bisschen aufzuwärmen und zu bewegen, so dass die erste überschüssige Energie schon ein Ventil hat?
- vielleicht ist es mittlerweile ein Muster? Du schreibst Sie dreht IMMER auf diesem Weg am Rad? Wenn Stallmut auszuschliessen ist und es speziell um diesen Weg geht, dann empfehle ich das Muster zu verlassen und diesen Weg ganz konstruktiv anzugehen. Nicht wie gehabt mit dem Gedanken "oh Mann, das ist jetzt wieder dieser

-Weg, jetzt dreht sie bestimmt gleich wieder auf…" sondern am Halfter, wenn das nicht ausreicht mit einem milden Kappzaum, diesen Weg als ganz eigene Übung anzugehen. Schau in die Bücher von Linda Tellington Jones oder Natalie Penquitt oder anderer Autoren die sich mit diesem Thema auseinandersetzen - oder mit den Führ- und Lösungsübungen der Bodenarbeit nach Bent Branderup - da lernst man ganz viel über zielgerichtetes und gelöstes Führen. Du bist nicht die einzige die ein solches Problem hat. Was nicht funktioniert immer auf die gleiche Weise zu versuchen, da "irgendwie durchzurutschen" ist nicht sinnvoll. Die immer gleiche Vorgehensweise wird zum immer gleichen Ergebnis führen. Also - ein anderer Ansatz muss her!
- versuche bitte auch diese anspruchsvollen Situationen nicht persönlich zu nehmen und sie auch nicht so sehr als etwas Negatives sondern als eine Herausforderung anzusehen. Aus irgendeinem Grund findet Dein Pferd es stressig, angsteinflössend oder aufregend auf diesem Weg. Also ist es Dein Job als führendes Mitglied eurer Zweierherde Deinem Pferd Sicherheit zu vermitteln. Im alten Muster hast Du versucht dominant aufzutreten und über Strafe, also negative Verstärkung Deine Führungsanspruch durchzudrücken… hat nicht so gut funktioniert - also probiere es anders. Eben zum Beispiel mit Übungen auf diesem Weg und entsprechender Belohnung - das muss kein Futter sein - damit muss das Pferd umgehen können und es nicht ständig einfordern. Das kann auch ein Kraulen an der Lieblingsstelle sein oder einfach eine Pause.
- fange mit kurzen Einheiten an. Ihr müsst nicht gleich den ganzen Weg meistern. Gehe auf den Weg, lasse sie vor und zurück treten, longiere sie am Seil ein oder zwei Runden möglichst ruhig um Dich herum und wenn Du zufrieden bist und einen guten Moment hast, mache eine Pause - oder wenn es ganz toll war - geh' wieder nach Hause. Arbeite Dich so Schritt für Schritt vor und Du wirst staunen, wie schnell dieser Weg anfängt Spaß zu machen. Klar dauert es eine Zeitlang die alten Muster zu ersetzen - aber es lohnt sich! Unterbrich die alten Muster und baut euch zusammen neue auf! Vielleicht brauchst Du bei täglicher Übung ein oder zwei Wochen, bis DU diesen Weg Stück für Stück, gemeinsam mit Deinem Pferd meisterst - aber das ist es doch wert. Wenn DU nur selten zum Üben kommst dauert es natürlich länger - aber von nix kommt nix - all die, die etwas toll machen haben viel und lange geübt!
Nächster Punkt. Auf dem Pferd laut rufen um anderen etwas mitzuteilen ist tatsächlich schwierig, solange Pferd und Reiter nicht am Sitz eine wirklich souveräne Einheit sind. Natürlich bezieht das Pferd Stimmkommandos auf sich, wenn es bisher beim Reiten immer mit allen Hilfen - auch der Stimme ganz klar angesprochen wurde. Plötzlich ist es nicht gemeint und die Konzentration des Reiters ist an einem völlig anderen Ort… sehr irritierend für das Pferd.
Situationen wie die mit Deiner Mitleiterin sind natürlich nicht immer planbar. Aber es liest sich so, als würdest Du Ihr vom Pferd aus ein wenig helfen und sie korrigieren. Ist dies öfter der Fall, kann man ja tatsächlich mal planen. Ich weiss nicht wie fit Du mit Technik bist. Aber - die jungen Leute haben doch ständig solche Stöpsel in den Ohren und die meisten Leute haben mittlerweile Handyflatrates. Wie wäre es, wenn Ihr nach Absprache versuchen würdet über Knopf im Ohr euch auszutauschen. Oder übt auf Wegen euch in ruhigem Tempo gegenseitig zu überholen in Schritt und Trab und euch immer wieder mal im Stand auszutauschen. ES gibt da schon Möglichkeiten, man muss sich nur absprechen und üben. Da ich selbst unterrichte, auch im Gelände, weiss ich dass das mit den Positionswechseln sehr gut funtkioniert. Man muss halt nur langsam anfangen. Im Galopp hintereinander herzudüssen und dabei zu versuchen sich was zuzubrüllen klappt meist nicht so gut

kann schonmal vorkommen aber die andere Vorgehensweise funktioniert mit Sicherheit besser.
Dass Ihr zum Schluss am Hof vorbeigeritten seid "obwohl" Dien Pferd doch brav war - darin sehe ich nun wirklich kein Problem. Wenn es kein Problem gab, warum sollte es für Deine Stute ein Problem gewesen sein? DU führst - WOHIN ist für das Pferd zweitrangig - sogar am Hof vorbei… loben solltest Du natürlich schon dafür, wenn sie das so gut macht - aber ich glaube das tust Du normalerweise schon, oder? Sonst würde Dir nicht auffallen, wenn Du mal ein wenig undankbar warst...
Es liest sich so, als wäre es einfach ein etwas stressiger Ausritt gewesen und einiges hat halt nicht so geklappt wie sonst. Auch hast Du selbst ja bereits super analysiert, was nicht so gut geklappt hat. Also, nimm' es nicht persönlich, keiner der unerwünschten Reaktionen war gegen Dich gerichtet sondern Aufregung oder doofen Umständen geschuldet. Versuche diese einzelnen Punkte mit konstruktivem Ansatz zu verbessern, nach besten Wissen und Gewissen, dann wirst Du auch ein gutes Gefühl dabei haben.
Und bewahre Dir auf jeden Fall Deine Sensibilität Deinem Pferd gegenüber - da wo es (uns) weh tut geht's lang. Wenn man das Gefühl hat etwas nicht richtig gemacht zu haben, DANN ist man bereit zu lernen und die Pferde sind unglaublich gute Lehrmeister!
Vielen Dank für dieses Thema - ich hoffe es inspiriert viele von uns sich mal wieder selbst zu hinterfragen im Umgang mit unseren Pferden!