Diese Frage müssen wir uns gerade stellen.
Zu uns. Wir haben im Jahr 2000 unser nunmehr 25-jähriges Pferd als bedingt reitbares Beistellpferd für unser erstes Pferd vom Tierschutz übernommen. Alle unsere Tiere, die wir bisher hatten, kommen/kamen immer mehr oder weniger über den Tierschutz. Wir machen uns durchaus Gedanken und helfen Tieren, die evtl. woanders keine Chance mehr haben, wir gehören nicht zu den Menschen, die Tiere abschieben oder sich aus ihrer Verantwortung ziehen.
Nun, besagtes Pferd ist wie gesagt seit 2000 in unserem Besitz, erst als Beistellpferd für unser Erstpferd – und, nachdem dieses 2001 an einer Kolik gestorben ist, haben wir uns auch wieder ein zweites Pferd, quasi das Beistellpferd fürs Beistellpferd zugelegt.
In all den Jahren hat unser Pferd nie eine ernsthafte Erkrankung gehabt. Wir haben ihn vom Tierschutz mit COB und Asthma übernommen, dies haben wir durch eine sehr aufwendige Behandlung so weit in den Griff bekommen, das unser Pferd in den letzten fast sieben Jahren vollkommen beschwerdefrei war und ohne Medikamente ausgekommen ist.
Er stand/steht die ganzen Jahre im Offenstall, immer mit seinem Kumpel und bis vor drei Monaten in einer 4-er Gruppe auf dem Hahnenhof in Pulheim. Hier waren wir prinzipiell rundum glücklich, der Stall ist vorbildlich, nur leider auch recht teuer. Ich wurde vor drei Jahren schwanger und bekam 2009 meine Tochter. Kind, Mann, Beruf, Haus und Hund ließen mir nur noch wenig Zeit für die Pferde.
Viele Überlegungen, beide in Rente zu schicken scheiterten immer an den Möglichkeiten.
Für mich stand es außer Frage, meine Pferde irgendwo in die Eifel oder ins Bergische abzugeben, wo sie weit weg wären, ich einen langen Anfahrtsweg hätte und dann vielleicht doch nur noch einmal im Monat – oder gar noch weniger - sporadisch vorbeischauen würde. Für mich war immer wichtig, mich trotz allem um meine Tiere zu sorgen, selber zu bestimmen, wann/ob/wofür ein Tierarzt gerufen werden muss, wann der Hufpfleger und welcher kommen soll etc., auch sollte meine Tochter immer Kontakt zu den Pferden haben. Also blieb alles so, wie es war.
Durch Zufall entdeckte ich Anfang des Jahres einen Hof in meiner Nähe, der wie auf uns zugeschnitten war. Anfahrtsweg mit 15 Minuten sehr gut, Offenstall in Gruppenhaltung, Weidegang gewährleistet, sauber, gepflegt und der Preis stimmte auch – nur war nichts frei. Im Sommer erfuhr ich zufällig, das ein Platz frei sei und noch einer frei werden würde. Entscheidung gefallen, wir ziehen um.
Der Umzug war unproblematisch, die Eingewöhnung etwas problematischer. Beide meiner Pferde hatten einiges abbekommen, was aber alles nicht weiter dramatisch war.
Vor rund acht Wochen hat die Stallbesitzerin unseren Oldi morgens im Stall vorgefunden, er konnte sich nur noch schwer vorwärts bewegen. Da sie mich nicht erreichen konnte, hat sie ihre Tierärztin gerufen. Diese konnte nichts genaues diagnostizieren, von außen keine sichtbaren großen Verletzungen, kein Fieber, nichts dick o.ä., lediglich eine verhärtete Rückenmuskulatur/Verspannung konnte sie feststellen. Zwei Tage später war es immer noch nicht besser. Ich rief meinen Tierarzt an, der vorne ein Hufgeschwür fand. Dieses wurde geöffnet und entsprechend behandelt und dem Pferd insgesamt drei Wochen Ruhe gegeben. Zwischenzeitlich war die Hufpflegerin da und hatte nochmal geschaut – alles ok. Pferd läuft wieder.
Freitags setzt sich meine Reitbeteiligung nach Absprache mit mir das erste mal wieder drauf, Pferd geht schwammig unter ihr im Schritt und stolpert hinten immer wieder, sie hört wieder auf zu reiten.
Samstags komme ich in den Stall und Pferd läuft nur noch im Travers. Steht schief wie ein Fragezeichen und mag sein rechtes Hinterbein nicht wirklich belasten. Wie der Teufel es will, mein Tierarzt ist genau an dem Wochenende weggefahren. Ich will aber nicht wieder jemand anderen rumdocktern lassen und warte bis Montagmorgen. Tierarzt kommt, vermutet ein Hufgeschwür im hinteren Bein, findet aber nichts. Videoaufnahme im Schritt und Trab, wie gesagt im schönsten Travers über die Weide – Ich sehe mein Pferd und denke, der sieht aus wie mein alter Hund. Der hatte Spondylose und einen tauben Nerv in der Wirbelsäule und lief zum Ende hin auch nur noch im extremen Seitwärtsgang.
Sicht/Tastdiagnose vom TA fällt leider schwammig aus. Evlt. ist was an den Dornfortsätzen kaputt, vielleicht eine Absplitterung durch Alters-Verschleiß, einen Tritt o.ä., es könnte ein Nerv eingeklemmt sein, es könnte ein Nerv altersbedingt kaputt sein, etc. Er bekommt ein Depot mit Schmerzmittel, Entzündungshemmern, Kortison in den Rücken gespritzt. Für eine genauere Diagnose bezüglich Absplitterung müsste geröntgt werden; um die Nerven zu prüfen, ein CT mit Kontrastmittel gemacht werden, für beides müsste er in die Klinik – im derzeitigen Zustand nicht möglich, der käme auf keinen Hänger rauf, geschweige denn wieder runter. Wir beschließen, einige Tage abzuwarten.
Nach Möglichkeit soll er sich tagsüber weiter in der Herde frei nach seinem Befinden bewegen können, nachts sollte ich ihm möglichst eine Box zum Ausruhen anbieten. Die Rechnung geht aber nicht auf, der Herr randaliert und will nicht in die Box. Es gibt auf dem Hof eine Notbox in der Stallgasse, selbstverständlich mit Pferdegesellschaft der anderen Boxenpferde – aber der Herr möchte „seinen“ Kumpel und macht einen Aufstand ohnegleichen, Box ist nicht möglich, wieder zurück in die Herde.
Er hat inzwischen auch extrem abgenommen, der Umzugsstress, Eingewöhnung in die neue Herde und dann auch noch krank, das zerrt an den Reserven. Zwischenzeitlich ist es zumindest in der Herde etwas ruhiger geworden, er geht jedem Stress aus dem Weg, sein Kumpel beschützt ihn – aber leider sind beide dafür auch relativ häufig alleine und abseits der Herde. Wir füttern ordentlich zu, ein energiereiches Müsli, Maiscobs, Heucobs, Mash und er nimmt wieder etwas zu, sieht aber immer noch bedenklich aus. Eine Osteopathin mobilisiert die LWS und macht Akupunktur und Akupressur. Es scheint ihm für den Moment gutzutun, bringt jedoch nicht wirklich was.
Unser Tierarzt war jetzt regelmäßig da zur Sichtkontrolle, Schmerzmittel bekommt er keine mehr, rein äußerlich scheint er keine Schmerzen zu haben, er freut sich, wenn wir kommen, er isst gut, er geht sehr langsam auf der Weide und frisst. Aber er läuft nicht und kann nach wie vor das Bein nicht belasten. Lehnt sich beim Heufressen an seinen Kumpel, geht mehr im Kreis als gradeaus, weil das nicht geht, geht nach wie vor im Travers. Im einen Augenblick geht er relativ gut und wir denken, jetzt hat ers gepackt - und in der nächsten Minuten bekommt er keinen Schritt vorwärts. Er hat keine richtige Kontrolle mehr über das Hinterbein. Es sieht aus wie eine Behinderung.
Wir befinden uns in einer Grauzone, sagt unser Tierarzt. Er kann sich hinlegen und aufstehen und auch – soweit der Anschein ist – ohne Schmerzen in Schritt gehen, das sind die Voraussetzungen gegen eine Euthanasie. Er könnte bei ganz viel Willen zumindest einen Hauch einer Chance haben, sich zu erholen, wenn er sich in einer Box ausruhen könnte. Aber eine Garantie gibt es nicht.
Im jetzigen Zustand bekommen wir ihn sicherlich nicht über den Winter. Die Weidezeit ist bald vorbei und dann sind die Pferde nur noch im Offenstall mit großem Sand-Paddok. Seine Kraftreserven sind unserer Meinung nach ziemlich aufgebraucht, er hat so extrem abgenommen und bis jetzt noch keine Energie gehabt, auch nur einen Hauch von Winterfell anzuzüchten. Eindecken funktioniert bei ihm nicht, sein Kumpel zerstört jede Decke im Hufumdrehen, ich vermute auch, dass eine schwere Winterdecke ihn zusätzlich behindern würde. Und im Sand fällt ihm Bewegung noch schwerer, auf dem mehr oder weniger harten und ebenem Weideboden geht es einigermaßen, aber Sand geht gar nicht richtig.
Unser Tierarzt weiß, dass uns eine Entscheidung nicht leicht fällt und unterstützt jede Richtung, egal wie. Ich habe mich schon erkundigt, die Tierkörperbeseitigung angerufen, einen Termin ins Auge gefasst – und frage mich dennoch, ob ich alles richtig mache. Wache nachts auf und grüble und denke und drehe mich im Kreis.
Auf unserem Hof können wir ihn nicht in die Box stellen, er macht einfach nicht mit. Wir könnten versuchen, in einem Nachbarstall unterzukommen und beide Pferde in zwei nebeneinander liegende Boxen zu stellen, aber ob die das so mitmachen, weiß ich nicht. Die wissen ja nicht, das es nur temporär sein soll und wir hoffen, dass es besser wird. Die zwei sind seit über 10 Jahren Offenstallpferde und waren in der Zeit nur einmal kurz wegen Renovierungsarbeiten für ein paar Tage in der Box und da im gesunden Zustand sehr unglücklich.
Auch weiß ich nicht, wie wir die zwei da rüber bekommen sollen. Zu Fuß wäre es ein Weg von mindestens einer Stunde im normalen Schritt – und das wird er nie im leben schaffen. Ich glaube auch nach wie vor, dass ich ihn nicht in einen Hänger bekomme bzw. wieder vernünftig raus, wenn überhaupt, dann nur in einem Hinten rein, vorne raus Hänger – und selbst das würde einen Riesenstress bedeuten. Auch wäre wieder ein Eingewöhnen in eine neue Umgebung, Stall, Pferde nötig, was wiederum Stress bedeutet.
Und nun wägen wir ab – haben schlaflose Nächte, was sollen wir machen? Kämpfen und hoffen, oder erlösen – aber immer im Hinterkopf zu haben, nicht alles versucht zu haben.
Ist für ein Offenstall gewöhntes Pferd, das sich immer viel und gerne bewegt hat und immer selber entscheiden konnte, ob es im Regen steht oder lieber in den Unterstand geht, lebenswert, auf einmal im hohen Alter in eine Box zu ziehen, ohne Wissen, ob und wann es wieder in einen Offenstall kann?
Ich weiß, keiner kann mir/uns die Entscheidung abnehmen – aber vielleicht gibt es ähnliche Erfahrungen, die mir/uns helfen können, das Richtige zu tun....