Autor Thema: Sofort nachgeben auf Zug am Zügel - warum eigentlich nicht beim Englischreiten?  (Gelesen 96394 mal)

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Offline Saorsa

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Weil Worte bekanntlich die Musik und die Bilder machen, sag' ich lieber: Das Pferd an die Hand reiten - das impliziert das korrekte von hinten nach vorn reiten... D

Auch hilfreich ist die gute alte Formulierung: halte dein Pferd vor dir. Impliziert Vorrang der treibenden Hilfen, Aufrichtung, Schwung, Anlehnung, eigene Körperhaltung etc. Wenn man einmal weiss, wie sich das anfühlt, setzt man ganz automatisch um, was komplexerweise alles dazu gehört. Finde das ein extrem hilfreiches Bild.
Alles zu seiner Zeit

Offline Viki

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Esge, das konnte ich gut nachvollziehen, was du schreibst.
Und das von Saorsa/Zaino auch - aber wie viele Freizeitreiter kennen dieses Gefühl überhaupt? Im Standard-Englischunterricht hab ich vor 20 Jahren davon nichts gesehen und heute ists nicht besser (Betonung auf 0815-Unterricht).

Ist nicht eine Gefahr beim "auf Selbständigkeit" reiten (was mir mehr liegen würde), dass man sich eher selber in die Tasche lügen kann, besonders bei Verwendung eines entsprechenden Gebisses?
Ein Pferd, das so beschrieben eingerahmt ist, wird seine Form verlieren, wenn der Reiter Fehler macht. Nur auf Wassertrense gerittene Pferde - ohne hann. Reithalfter - kann man nur mit der Hand nicht in Form bringen. Wenn man ein Bit nimmt, schon - halt nur nach außen.
Mir fällt auf, dass in der Westernszene (meine jetzt Freizeitbereich, nicht Top-Trainer) schneller ein Bit genommen wird. Ein (nicht so fähiger) FN-Reiter nimmt vielleicht Hilfszügel, Reithalfter etc., aber Kandare erst dann, wenn wirklich das Niveau passt. Oder lieg ich da falsch?

Eine Bekannte überlegt, sich ein Allen-Bit mit Shanks anzuschaffen, weil das Pferd teilweise gegen die Hand geht. Bei dem Pferd-Reiter-Paar käme ein FN-Mensch nie auf die Idee, eine Kandare herzunehmen, weil es einfach an anderen Dingen hakt (Biegung, Unterteten, Gerademachen etc.).
Ich fände manchmal so ein Bit auch ganz angenehm, würds aber nicht machen, weil ich weiß, dass es am "Motor" und meinen Fähigkeiten hakt und man als "Englischreiter" einen heiligen Respekt vor was anderem als Wassertrense eingeimpft kriegt (ähnliches gilt für Sporen).

Daraus würde folgen, dass für mäßig reitende Leute, evtl. ohne RL, wie es sie haufenweise in der freien Landschaft gibt, das "Von-der-Hand-weg-Reiten" gefährlicher ist als die FN-Methode - zumindest wenn die Eigenkritik fehlt.


esge

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Hm, ich glaube, letztlich ist Reiten ohne Unterricht, noch mehr aber dann reiten ohne Eigenkritik in jeder Reitweise auf Dauer gefährlich, bzw. eine Sackgasse. A la FN zieht man sich vermutlich am Zügel fest, weil die ständige Ermahnung für den sachgemäß treibenden Schenkel fehlt (Dauerklopfen ist damit nicht gemeint!), bei den "Klassikern" wird vorn wie hinten nix gemacht, sondern man verfällt in gefälligem, bequemen Geschlurfe und die Western-Leute können je nach Temperament am Bit reißen oder gänzlich im Tiefschlaf verfallen.
Gibt sich nicht viel, würde ich sagen.

Aber nochmal zu Rübes Ausgangsfrage: Die letzten drei Wochen haben mir auch gezeigt, wie schnell man ein Pferd bei konsequenter Durchführung sogar umkonditionieren kann (jedenfalls ein halbwegs cleveres, arbeits- und gutwilliges Pferd) Über die Intelligenz von Pferden kann ja viel gefachsimpelt werden, aber ihre Lern- und Merkfähigkeit, sowie auch ihre Anpassungsfähigkeit an neue Signale ist ganz schön groß. Ich wette, mein pferd würde bei einem Westerntrainer ebensoschnell die einschlägigen Signale lernen, wie es sich jetzt von eriner eher an Ph. Karl angelehnten Reitweise und Zügelführung auf die FN-Rundum-Versorgung eingestellt hat. Eine Woche Protest und dann war der Käs gegessen, Pferd trat ans Gebiss und ich muss sagen: Die Schwungentwicklung war erheblich besser auf diesem Weg.

Fazit: Es kann nie schaden, so viele Methoden wie möglich zu kennen, um sich dann das Beste rauszusuchen. Allerdings muss man möglichst große Zusammenhänge kennen, weil nur Einzelelemente, wild durcheinander gemixt nicht funktionieren können.


geolina

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hallo,

dazu fällt mir eine geschichte ein...hatte ne zeitlang eine rb auf der alten stute meiner rl. die war eben fn-geritten. mein cousin aus amerika war da und hat mir bissl beim reiten zugeschaut und wollte dann auch mal drauf. meine rl hatte nix gegen also ist er aufgestiegen und ist sie in seiner gewohnten reitweise (hm, er nannte es ja dressur - aber mit fn hatte das nix zu tun) geritten.

das pferd war nach 5 min völlig von der rolle. konnte keine lange seite ohne galoppwechsel durchgaloppieren. wo ich vorher noch seitengänge geritten bin, war nun nicht mal mehr ein abwenden möglich. übrigens - mit seinem pferd kann mein cousin alles machen.

aber ein 28jähriges fn pferd ohne verbindung am zügel reiten zu wollen war dann doch zu viel für die betagte dame. sie fühlte sich alleine gelassen - ein wenig mehr verbindung hat dann den beiden zwar geholfen - aber beide wurden nicht wirklich glücklich miteinander (was auch daran liegen kann dass mein cousin ein 1,45m großes quatertier gewohnt ist und die 1,82m dame ihm etwas unbequem vorkam).

aber mit hat es eben gezeigt was für ein gewohntheitstier so ein pferd wirklich ist. klar kann man sie umlernen lassen - aber ein tier muss eben nicht mit mehr freiheit glücklicher sein...es ist einfach etwas anderes, nicht besser und nicht schlechter.

alex

Offline Beagle-Petra

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... Aufrichtung, Schwung, Anlehnung ...

Alle drei sind Dinge, die ihre Bedeutung verlieren, wenn man die Welt des Dressurreitens verläßt; für uns Westernreiter wird keines der drei angestrebt. Das Pferd geht nicht aufgerichtet, sondern in seiner natürlichen Selbsthaltung (es gibt ja auch keine Versammlung im Dressursinn, nur bestenfalls eine Basisversammlung); das Pferd soll keinen Schwung entwickeln, denn Schwung hemmt die freie und spontane Beweglichkeit in alle Richtungen, aber fleissig vorwärtsgehen soll es schon; es soll keine Anlehnung entwickeln, allerdings ein längeres Reiten auf Kontakt aushalten können, Anlehnung verhindert, dass das Pferd weg vom Gebiß geritten werden kann.

Letztlich ist es schon so, dass jedes gut gerittene Pferd innerhalb seines Systems im Maul nachgiebig sein muß. Nur sind die Mittel, wie man das macht (Auswahl des Pferdes, Ausbildungsweg, Hilfsmittel wie Gebiß etc.) schon mit gutem Grund andere. Aber grundsätzlich für alle gilt wiederum: Um überhaupt geschult werden zu können, muss das Pferd erstmal vorwärts gehen. Das erste was das Pferd lernen muss, ist, vorwärts zu gehen. nur wenn das Pferd vorwärts geht, kann ich Bein-, Gewichts-, Sitz- und Handhilfen "einbauen".

Jedes Ausbildungssystem ist nach einer gewissen Zeit zudem ein geschlossenes System. Das erklärt auch schon, warum man Pferde nicht einfach mit einem anderen Reitstil überfallen kann. Manche Pferde sind da so "engstirnig", dass sie keinerlei Varianten vertragen, nicht mal innerhalb des eigenen Systems (oder sie sind einfach nur falsch ausgebildet), aber Reiterwechsel "englisch" und western klappen erstaunlicherweise oft sehr gut - je besser die Ausbildung der Reiter im eigenen System ist, desto besser kommen sie mit anders gerittenen Pferden klar, in beide richtungen.
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Muriel

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das Pferd soll keinen Schwung entwickeln, denn Schwung hemmt die freie und spontane Beweglichkeit in alle Richtungen,

....
 Anlehnung verhindert, dass das Pferd weg vom Gebiß geritten werden kann.


*staun* Kannst Du das mal näher erläutern, BP? Der Sinn dieser Aussagen ist mir fern...

Offline Beagle-Petra

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zum Punkt Anlehnung: bei Anlehnung sucht das Pferd den ständigen Kontakt zum Gebiss, es tritt ans Gebiss heran, es wird an den Zügel geritten etc.

Wenn ich es vom Gebiss wegreite, dann reite ich es ohne ständigen Kontakt zum Gebiss, im Idealfall ohne jeden Kontakt, und ein fein gerittenes Pferd reagiert bereits auf das Annehmen des Zügels, wenn der Zügel sich bewegt, noch bevor überhaupt Kontakt aufgebaut wird. Nur so kann ich ein Pferd über längere Zeit am losen Zügel reiten. Ist halt eine ganz andere Geschichte.


Das andere ist doch logisch: Je mehr Vorwärtsschwung du hast, desto mehr Zeit und Energie kostet es Dich, diesem Schwung eine neue Richtung zu geben. Ein Mitteltrab oder gar ein starker Trab ist reiner vorwärtsschwung, auch eine Piaffe enthält eine Menge an Vorwärtsenergie. Würdest Du auf die Idee kommen, von einem Pferd in der Piaffe, Passage, im Mitteltrab von einem Moment auf den anderen eine Hinterhandwendung zu verlangen, um dann den Mitteltrab etc. in die andere Richtung fortzusetzen? Das gäbe mächtige physikalische Probleme. Westernpferde müssen da behender auf den Beinen sein, daher sind schwungvolle Bewegungen weder beim Jungpferd gewünscht, noch werden sie in der Ausbildung gefördert.
Nur echt mit dem Beagle!

Muriel

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Ahjetztja. Hab mir fast schon gedacht, daß Du es so meinst. Was den Mitteltrab bzw die Verstärkungen angeht, stimme ich Dir zu, die sind nicht umsonst auf gerader Linie ::)

Aber der Schwung fängt doch weit vor dem Mitteltrab an und beinhaltet m.M. nach eine gewissen Gangqualität, die durch Hinterhandaktivität und dadurch schwingenden Rücken kommt.
Und ich kann durchaus aus einer schwungvollen Gangart aus jedem Tritt die Richtung/Gangart wechseln, weil es einfach mit einer einzelnen Bewegung des Beins zu tun hat.
Umgekehrt fällt es mir schwer, zu glauben, daß ein Westernpferd deshalb besonders beweglich ist, weil es mit allen Füssen gleichzeitig (Achtung Übertreibung!) am Boden klebt.
Gerade für schnelle Richtungswechsel muss doch Dynamik in der Hinterhand sein. Wenn das Pferd eben schwunglos läuft, wird es nicht in der Vorhand bw Schulter frei sein, und damit für einen Richtungswechsel behindert sein.
Alle gut gerittenen Westernpferde die ich kenne, haben auch Schwung. Das der anders aussieht als bei einem Dressurpferd ist klar. Aber ohne Schwung geht es m.E. nicht.

Offline Beagle-Petra

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na man kann sich jetzt drüber streiten, über den schwung. das paradebeispiel für schwunglos sind ja die pleasurepferde. ansonsten wird halt bei westernpferden gern ein zwar fleissiger aber schwungloser gang gesehen, ohne eben diesen schwingenden rücken. lässt sich einfach besser sitzen. ist halt - wenn ich das mal so sagen darf - mehr gelaufen als getitscht. die aktive hinterhand - fleissig vorwärts reicht. ein pferd auf die hinterhand bringen, das muss z.b. auch nciht unbedingt über versammlung geschehen, die pferde werden einfach durch eine systemimmanente rückwärtstendenz in allen bewegungen auf die hinterhand gesetzt. das ist einfach ein anderes zusammenspiel der kräfte, die schwerpunkte sind andere. ich glaube, man muss wirklich ein gutes, bewegliches westernpferd mal geritten haben, um den unterschied zu spüren.
Nur echt mit dem Beagle!

Muriel

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die pferde werden einfach durch eine systemimmanente rückwärtstendenz in allen bewegungen auf die hinterhand gesetzt.

äääähh  :o ??? *verständnislosguckt*

Offline Sandra SA

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 ??? ich auch..
System...was?
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Offline donau

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die pferde werden einfach durch eine systemimmanente rückwärtstendenz in allen bewegungen auf die hinterhand gesetzt.

wortwörtlich übersetzt: weil beim western-ausbildungs-system eigentlich mehr rückwärts als vorwärts geritten wird, sind die pferd von sich aus auf der hinterhand.
sinngemäss jetzt ebenfalls hääääääää ???
Wer auf seinem Standpunkt beharrt, darf sich nicht wundern, dass er nicht weiterkommt...

Authorised WEIGUMS Desillusionator

Offline Beagle-Petra

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genau, donau, obwohl sich das widersinnig anhört. ganz grob gesagt: in der dressur bringt man die hinterhand unters pferd, der westernreiter bringt das pferd über die hinterhand. das rückwärtsgehen ist eine der wichtigsten übungen überhaupt für das western pferd und wird auch mit als allererstes gelehrt. ein dressurpferd geht immer vorwärts, auch das dressurmässige rückwärtsrichten ist immer auch ein vorwärts im rückwärts. das western pferd geht wirklich rückwärts, ohne diese vorwärtsklamotte. das rückwärtsrichten ist oft ein mittel der wahl, um tempo zurückzunehmen. statt vermehrt gegen das gebiss treiben, vermehrt aufnehmen, tief einsitzen etc. eben anhalten, rückwärts richten, erneut anreiten, bei unerwünschter tempoverstärkung wieder anhalten und rückwärts oder schnelles hartes abwenden und in die andere richtung davonlaufen lassen ...

vielleicht macht auch folgendes bild die sache etwas deutlicher: eine dressuraufgabe ist, wenn gut geritten, von anfang bis ende ein fliessendes vorwärts in variationen durch die gangarten und tempi, inklusive dem rückwärts. eine reining ist nicht wirklich ein reines vorwärts, sonders stets abrupt unterbrochen durch stops und spins, stops und rollbacks, stop und backup. ganz extrem ist das beim cutting, fürs cutting ist nicht nur der cowsense wichtig, sondern auch das stopvermögen des pferdes. ein trainer sagte mal: cutting geschieht zwischen den stops. jeder turn ist auch ein stop. ist der stop nicht sauber und präzise und balanciert, kann man den rest dazwischen in der pfeife rauchen.

das westernpferd wird zu einem sehr grossen teil durch das rückwärtsrichten und die innewohnende rückwärtstendenz mancher übungen auf die hinterhand gesetzt. auch deswegen wird es nicht ans gebiss herangeritten, sondern vom gebiss weg. man kann auch sagen: das westernpferd läuft hinter dem gebiss. (es darf sich aber nicht hinters gebiss verkriechen.)

Man darf auch nicht davon ausgehen, dass man auf jedem Westernturnier wirklich Westernreiten sieht, oftmals ist das eine dem landesüblichen Bild vom gut gerittenen Pferd angepasste Variante, mehr Dressurreiten im Westernsattel am etwas längeren Zügel.
Nur echt mit dem Beagle!

Offline Bernie

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Hallo!

meine Erfahrung:

Dressurpferde sollen von hinten nach vorne geritten werden, Westernpferde von vorne nach hinten.

lg

Bernie
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Muriel

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So gesehen kann ich das verstehen - Schon der liebe Herr seunig oder irgend ein anderer berühmter Reiter sagt, wenn die Drohung mit dem Sporn/Peitsche o.ä. kommt und das Pferd nicht mit vorwärts reagiert, soll sofort energisch vorwärtsgetrieben werden *hüpf*.
Wenn also beim Westernreiten was nicht geht, wird sofort vorne agiert, was uns wieder zum Boxenthema führt.
Allein der Sinn erschließt sich mir nicht. Bin doch zusehr im "Dressur"lager verwurzelt :D.