Autor Thema: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2  (Gelesen 127352 mal)

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Wieselchen

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #255 am: 19.01.09, 10:31 »
So hab ich das bei Heuschmann auch verstanden, daß ein Pferd über den Rücken geht, wenn es den langen Rückenmuskel (und noch ein paar andere,die ich nicht mehr weiß), der ja ein Bewegungsmuskel ist, ungehindert bewegen kann und nicht blockiert wird. Dadurch bewegt es dann auch automatisch den Bauchmuskel, der ja auch ein Bewegungsmuskel ist und durch dieses Zusammenspiel werden die Muskeln traniert, wenn man sie denn nicht blockiert. Später bei der Versammlung kommt es einem dann zu Gute, wenn das Pferd über gute Bauch- und Rückenmuskeln verfügt.

Ich kenne nur den Film (Stimmen der Pferde), da wird das aber recht gut erklärt finde ich, nur leider ist es ja sehr komplex, so daß ich z.B. noch ein paar Mal den Film anschauen muß, um alles behalten zu können, was sich wie und warum bewegt. Meine Vorkenntnisse in Biomechanik helfen zwar, sich das leichter zu merken, aber wie gesagt, sehr komplexes Thema.

Offline Carlotta67

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #256 am: 19.01.09, 10:44 »

Ist nicht vielleicht diese Diskussion über "loser Rücken" gemeint?
Daß er sagt, daß z.B. kurze (Barock-)Pferde auch mit ganz wenig Grundspannung/Spannungsbogen schadlos geritten werden können?
Beim Ausdruck "über den Rücken gehen" hat man ja immer so eine bestimmte Form im Kopf.
Mit "ohne Rücken" meint er sicher nicht, der Rücken darf durchhängen oder weggedrückt sein sondern eher, daß bestimmte Pferdetypen in bestimmten Reitweisen mit weniger angehobenem Rücken gut klarkommen.

Wieselchen

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #257 am: 19.01.09, 11:00 »
Ja, das kann auch sein. Es wird ja soviel erzählt, daß man bestimmt mal durcheinander kommt bei den Begrifflichkeiten, was gerade gemeint ist. An "losen Rücken" kann ich mich jetzt z.B. gar nicht erinnern, ich hab immer versucht mir die Muskelpartien zu merken wie sie tatsächlich funktionieren und wie man erkennen kann, ob beim eigenen Pferd diese Muskeln richtig arbeiten (können).

Ich bin nämlich überzeugt( gewesen) , daß mein Pferd fast immer über den Rücken geht und meine Osteophatin meinte auch immer, sie hätte im Rücken keinerlei Blockaden und/oder Verspannungen. Tatsächlich merke ich aber auch beim reiten, daß sie erst nach einer halben Std. oder so so "richtig" übern Rücken geht (so wie ich denke), weil man dann plötzlich die Bewegung durch den ganzen Pferdekörper spürt und sie viel weiter durchschwingt etc. Dann denke ich immer " ok, soviel dazu,daß sie vorher wohl nicht wirklich locker übern Rücken ging". Wenn man diesen Unterschied gar nicht hat ist es total schwer zu merken finde ich. Es gibt nämlich auch Tage da kommen wir gar nicht an den Punkt wo sie so durch den ganzen Körper schwingt und dann weiß ich nur aus vorherigen Erfahrungen, daß das dann nicht so der Hit war.

Offline Beagle-Petra

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #258 am: 19.01.09, 11:04 »
Da müsste ich mich jetzt selbst schwer aus dem Fenster hängen und ggf. Sachen schreiben, die Heuschmann so nicht gesagt oder gemeint hat. Im Buch kann man zumindest über den "losen Rücken" der Anhänger der Balancereiterei nachlesen, Stichwort Oliveira. Ich hab jetzt aber keine Zeit, das großartig zu recherchieren, heute abend vielleicht. Fazit ist aber wohl in der Tat, dass für vieles eben das "schwungvolle durchreiten von hinten nach vorn in die Anlehnung" nicht notwendig oder gar kontraproduktiv ist. Beispiel eben das Distanzpferd. Oder auch das Westernpferd.

Nachtrag:
@Carlotta, ja, das auch. Der lose Rücken bei der französischen Balancereiterei (Karl, Oliveira), aber eben auch das vornehmliche Ausbalancieren anhand des Nackenbandes ohne die durch das Reiten von hinten nach vorn erzeugte Anlehnung. Und ja, abhängig von der Reitweise und von dem Pferdetyp (exterieur, gangmechanik).

Da hat schon manch einer schwer geschluckt unter den Zuhörern, als er klipp und klar sagte: Das entspannte rai gerittene Pferd ist gesundheitlich gut dran. Solange man in diesem Rahmen keine Piaffe reiten wolle.
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Offline Aleike

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #259 am: 19.01.09, 11:12 »
Wenn es denn entspannt ist und nicht mit hohem Hals und hängendem Rücken dahinzockelt ...

"Loser Rücken" habe ich von ihm auch schon gelesen; aber ehrlich gesagt, verbinde ich damit nichts. Der Unterschied zwischen tragen mit dem Nackenband und über den Rücken gehen, erschließt sich mir immer noch nicht richtig. (Ist etwa die Anlehnung das Unterscheidungskriterium? ???)
Wenn Du zu diesen beiden Begriffen Heuschmanns Definitionen finden könntest, wäre das toll. :-*

Zeigt wohl der Film Beispiele für seinen "losen Rücken"?
Gibt es andere Autoren, die diese Wendung gebrauchen?
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Offline Beagle-Petra

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #260 am: 19.01.09, 11:21 »
Wenn es denn entspannt ist und nicht mit hohem Hals und hängendem Rücken dahinzockelt ...

Eben, entspannt bei tiefem Kopf. Kommt der Kopf kurzzeitig hoch, kein Problem, ansonsten wird es Probleme geben.

Der Film zeigt meiner Erinnerung nach keine Beispiele für losen Rücken. Aber geh mal in die erste Reell-Box und such mal die Links zu Nuno Oliveira. da sind beispiele dabei. z.b. den clip, über den sich alle so aufregen  ;D
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Offline Karotte

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #261 am: 19.01.09, 21:01 »
ich würd reell auch nicht unbedingt mit "gesundheitserhaltend" gleichsetzen.

eva: das versteh ich ja eben auch nicht. weil er doch andererseits sagt, dass das system schon im kern krankt.
gibt´s eigentlich irgendwo mal ein PK-ergebnis zu sehen, das z.b. von muriel schön gefunden wird? also ein endprodukt oder recht-weit-produkt? wie ist das mit den färten auf den 4 DVDs oder der classique/klassik-DVD?

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Offline terra

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #262 am: 19.01.09, 21:13 »
Einmisch - das Pferd auf der Classique DVD hat mich nicht vom Hocker gerissen....die FN-ler allerdings auch nicht ;D

Offline Beagle-Petra

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #263 am: 19.01.09, 21:19 »
@aleike, so, mal in stichworten.

basis: v/a, der gesenkte kopf mit nase vor der senkrechten dehnt das nackenband, stellt die wirbel des widerrists auf und spannt so das rückenband und hebt den rücken.

im laufe des trainings übernehmen die oberen halsmuskeln die funktion des nackenbandes, das pferd bewegt sich zunehmend in relativer aufrichtung, die nackenmuskeln tragen also sozusagen den rücken -> getragener rücken -> wird als über den rücken geritten bezeichnet, rückengänger. undabdingbar für pferde mit schwungvoller gangmechanik.

für distanzpferde und wanderreitpferde muss dieser ausbildungsstand nicht völlig erreicht werden, je nach verwendungszweck reicht es aus, wenn die pferde in korrekter dehnungshaltung laufen (wanderreitpferde im schritt), das distanzpferd soll auch nicht schwungvoll von hinten nach vorn durchtreten und keine schwungvollen bewegungen haben, sondern es soll sich möglichst ökonomisch mit flachen bewegungen fortbewegen und sich am langen zügel in jeder situation ausbalancieren können. eine (nennenswerte) relative aufrichtung ist weder gewünscht noch sinnvoll. ähnlich ja bei unseren westernpferden, die eher mit tiefem kopf laufen und ebenfalls keine schwungvollen bewegungen haben, sondern flach gelaufene.

daneben der "lose" Rücken, der wohl in der balancereiterei vorkam und vorkommt, siehe die Videos von Oliveira oder das "Badewannenlipizzanerbeispiel" von ichweissgradnichtmehrwem. (dass der meister sein pferd nicht immer sitzen kann und dass das pferd gelegentlich bis öfter die hinterhand verliert, zeigt, dass diese reittechnik durchaus problematisch ist und auch gut für verspannungen sorgt.)

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Offline Olli

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #264 am: 19.01.09, 21:20 »
*senfdazugeb*
ich finde, nur noch privatreiter ;-)
keine "gekauften" wie wäre das?
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Offline Aleike

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #265 am: 20.01.09, 01:06 »
Petra, danke. Dann fängt "über den Rücken" also dort an, wo die Halsmuskeln Tragearbeit zu leisten beginnen.

Ich habe auch nochmal auf die Oliveira-Videos geguckt und auch unsere Kommentare und finde es auch eher fest als lose. Sollte ich Herrn Heuschmann nochmal live erleben, werde ich ihn fragen, wie er lose definiert. ;)
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Offline Beagle-Petra

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #266 am: 20.01.09, 11:38 »
Petra, danke. Dann fängt "über den Rücken" also dort an, wo die Halsmuskeln Tragearbeit zu leisten beginnen.

Ich habe auch nochmal auf die Oliveira-Videos geguckt und auch unsere Kommentare und finde es auch eher fest als lose. Sollte ich Herrn Heuschmann nochmal live erleben, werde ich ihn fragen, wie er lose definiert. ;)

Aleike, ich denke, man sollte diese Videos nicht pauschal gleichsetzen mit dem Reiten von Oliveira als solches. Ich finde die Pferde auf den Videos, die ich gesehen habe, zum Teil auch fest. Man muss sich da kundiger machen, ggf. auch seine Schüler beobachten und gezielt hinterfragen. Ich selbst hab allerdings auch so meine Probleme mit der Balancereiterei, ist für mich eine Reittechnik, bei der man - im Vergleich zu anderen Reitweisen - einfach zu viele Gelegenheiten hat, etwas falsch zu machen und dem Pferd dadurch zu schaden.

Der lose Rücken in "Finger in der Wunde", 2. überarbeitete Auflage 2008, Seite 59:
Der lose Rücken
Er ist häufig bei schwunglos aber unverspannt trabenden und galoppierenden Pferden anzutreffen. Er lässt den Reiter bequem sitzen. Es wird ihm jedoch nicht das wunderbare Gefühl vermittelt, auf einer Welle getragen zu werden. Bei Pferden mit dieser Rückenposition ist oft eine andersartige Anlehnung zu finden. In diesem Zustand wird eine korrekte Dehnungshaltung, die den Rücken mit hochnimmt, nicht erreicht. Die Pferde geraten beim Vorwärts-Abwärts auf die Vorhand, weil die Nachhand wenig Impuls besitzt. Besonders häufig ist dieser Muskelzustand des Rückens bei Pferden zu finden, die nach sehr feinen Prinzipien der Klassischen Ursprungslehre (à la Guérinière - im Sinne der Légèreté) gearbeitet werden. Auch auf Filmdokumenten von Meistern der neueren Zeit wie z.B. bei Nuno Oliveira lässt sich dieser gelaufene Trab finden. Diese Art der Arbeit ist für das Pferd völlig unschädlich und zeugt aus meiner Sicht lediglich für ein anderes Grundverständnis für die Dressur und von einer Abweichung der Forderungen der HDV 12.

Der getragene Rücken
Er kommt nur zustande, wenn eine impulsstarke Nachhand Schubkraft über einen unverspannten Rücken bis zur Reiterhand in eine feine, tempoabhängige Anlehnung durchfließen lässt. Der getragene Rücken vermittelt das Gefühl, je nach Gangmaß, auf einer mehr oder weniger hohen Welle zu sitzen. Die Ausbildungsskala ist nur mit diesem Rücken zu erfüllen, da schwungvolle Gänge davon abhängig sind.

Weiter hinten auf Seite 88, nach einem Exkurs über die Bedeutung der oberen Halsmuskeln: "Mit dem Begriff "getragener Rücken" wird der losgelassen arbeitende, nicht aber der schlaffe, aufgelöste Rücken bezeichnet."
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Wieselchen

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #267 am: 20.01.09, 12:39 »
Super, vielen Dank für diese Zitate.

Ich hatte z.B. auch noch gar nicht so mitbekommen bzw. realisiert, daß ein loser Rücken in diesem Sinne wirklich völlig unproblematisch zu sehen ist. Ich dachte immer grundsätzlich muß man immer dazu kommen, daß das Pferde den Rücken aufwölbt und durch die HH nach vorne durchschwingt um ein reelles Training zu haben.

Beide Möglichkeiten haben ihre Schwierigkeiten,denn wie ja hingewiesen wird muß auch ein loser Rücken reell geritten sein, um wirklich unschädlich zu sein,genauso wie ein getragener Rücken. Zumindest gibt es aber wirklich 2 Möglichkeiten, die sehr unterschiedlich sind und trotzdem für's Pferd unschädlich. Das Geheimnis liegt dann in der Wahrnehmung, ob man einen korrekt losen Rücken oder getragenen Rücken sehen/fühlen kann und das Pferd dementsprechend gearbeitet wird.


Offline kari

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #268 am: 20.01.09, 13:09 »
Danke, BP.

Zitat
Besonders häufig ist dieser Muskelzustand des Rückens bei Pferden zu finden, die nach sehr feinen Prinzipien der Klassischen Ursprungslehre (à la Guérinière - im Sinne der Légèreté) gearbeitet werden........ Diese Art der Arbeit ist für das Pferd völlig unschädlich

Ob der "lose Rücken" wirklich nicht schädlich ist, auf Dauer?
Ich meine, daß jedenfalls rückenschwache Pferde mit einer gewissen Grundspannung geritten werden müssen, um einem Senkrücken vorzubeugen.

 

Offline zaino

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Re: Von reellem und unreellem Reiten...Teil 2
« Antwort #269 am: 20.01.09, 13:17 »
... spannend hier - da haben wir ja wieder die 2 diametral entgegengesetzten Methoden, die eine wäre von Fr. Cygon vertreten, mit extremem Leichten Sitz, extremem V/a will mann HH und Rücken "kriegen" - die andere z. B. der Racinet, propagiert Balance vor Bewegung, der Rücken wird anders angehoben... gleiches Ergebnis? Wirklich?

Mir leuchtet das mit dem vowärts-abwärts rein anatomisch gesehen noch immer eher ein - v. a. weils nachweislich funktioniert, wenn man ein paar einfache Grundregeln befolgt, und am Pferd geht auch nix kaputt dabei.