Autor Thema: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?  (Gelesen 54544 mal)

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Offline MimTopic starter

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Hallo,

Eine Frage an diejenigen hier, die Umgang mit Rindern haben. Privat arbeite ich mit einer Trainerin u.a. auch Bodenarbeit mit Pferden, klare Körpersignale, Vertrauensaufbau, Rang - Führung.

Beruflich bin ich in allen möglichen Ställen unterwegs u.a. auch Laufställen Rind, wo ich kürzlich an Tränken musste und kein Landwirt dabei war. Hierbei setzte ich die beim Pferd gelernten Aktionen ein - und kam problemlos überall hin, ohne auch nur eine Kuh die (erst) im Weg stand schubsten oder anfassen zu müssen.

Und - die Tiere reagierten weitaus sensitiver als meiner Meinung nach Pferde: Hatte ich 2 ranhohe, neugierige Kühe "weichen" lassen - waren die ganzen Ohren einer Liegeboxenreihe bei mir frei nach dem Motto "Oha, ne neue Leitkuh!?"  ;).

Der Gedanke hat mich ein ganzes Wochenende nicht losgelassen und wir möchten nun das Experiment Pferdetrainerin vs Kühe in einem Stall wagen. Natürlich gibt es hier Verhaltensunterschiede und ich werfe hier mal in den Raum: Eine Kuh hat verdammt viel Angst. Auch nicht ohne Grund. Wird nur angefasst, wenn man was von ihr will.
Bekommt nur ein Halfter, wenn sie geimpft, trächtigkeitsuntersucht, verladen oder besamt werden muss.... oder?

Und diese Überforderung in verschiedenen Situationen äussert sich in einem Notfallprogramm das wir auch alle kennen: a) Flucht b) Angriff oder c) Erstarrung. Und alle 3 wollen wir nicht haben - führen zu fast unglaublichen Unfallraten der Menschen in Rinderställen und ja: Insbesondere bei Frauen.

Ich hab gegoogelt, ich hab geyoutubt. Bücher wie "Schweinsignale" oder "Rindersignale" haben den Focus nur auf dem Wohlbefinden, dem Stallkomfort, nicht auf der Interaktion Mensch-Rind wie beim Pferd oder beim Hund.

Hat jemand hier schon Erfahrungen das Wissen vom Pferdeumgang, Konditionierung ggf. Join-Up auf Kühe zu übertragen? Ich denk da bloss an die Reitkuh Sybille vom Isliker aus Wetten dass...
Wieviel Unfallgefahr, Zeit, Nerven könnte man sparen, wenn man als souveränes Leittier das Vertrauen der Kühe erwerben könnte?
Wieviel prolemloser der Umgang mit Rind sein könnte, wenn man an sich selbst, den Körpersignalen arbeitet, diese genau dosiert einsetzen kann?

viele neugierige Grüsse

Mim

Die-mit-dem-äusseren-Zügel-kämpft

Offline Kaijsa

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #1 am: 02.12.08, 11:38 »
Finde ich total interessant!
Es gibt ja noch die eine oder andere Reitkuh mehr in Deutschland- und die Ochsen beim Ochsenrennen werden ja auch orgendwie dran gewöhnt... und früher gab es doch auch Ochsengespanne für die Feldarbeit, vor dem Wagen....

Klar, sind Ochsen und keine Kühe, aber Rinderverhalten- wenn es bei Pferden ein gewisses Universalprogrammgibt, sollte es das bei Rindern doch auch geben?

Das Rinder sensibler sind, kann ich mir gut vorstellen, die werden ja nicht auf Charakter hin selektiert... und haben wie du schon sagtest, im Normalfall den Menschen eher selten in nächster Nähe....

GIbt es denn keine ethologischen Untersuchungen oder Literatur zum Thema normales Rinderverhalten?
Man lernt nie aus....

Offline MimTopic starter

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #2 am: 02.12.08, 12:39 »
Hallo,

nochmal - erst war ich beeindruckt von der Sensivität der Kühe, dann dämmerte mir, dass sie allen Grund haben einen Menschen auch einfach MEHR zu fürchten als ein Pferd.

Andersherum sind Kühe viel "dulsamer" als ein Pferd- oder könntet ihr euch vorstellen ein Pferd die Hufe zu machen in einem Fessel- oder Kippstand !?

http://images.google.de/images?hl=de&q=klauenpflegestand&btnG=Bilder-Suche&gbv=2

Alle Fluchttiere - leiden nämlich noch dazu leise, weil natürlich ein Leidenssignal die Fresseinladung eines Jägers wäre. Alle greifen auf dasselbe Grundmuster zurück:

Bei Überforderung das "archaische Notfallprogramm": Flucht oder Angriff oder Erstarrung. Wie reagiert der Mensch darauf - wäre es nicht besser zu agieren?

Gestern war ich wiedermal entsetzt. Musste für BsF ein halbgewachsener Moggel einzeln ohne Herde vom LKW gezerrt werden. Ging mit dem Bauer ~ spazieren ~ (Menschen! Kameras!) und wurde dann von ca. 8 Männern "gebändigt". Super  ::) :-[.

Mich erschreckt es schon - wir wissen sooovieel über Pferde, bekommen sie dazu die unmöglichsten Sachen mit Vertrauen zu machen und wieviel wurde davon bisher auf Rinder übertragen/gelernt?

Mim

Die-mit-dem-äusseren-Zügel-kämpft

geolina

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #3 am: 02.12.08, 16:36 »
hallo,

klingt mal wieder nach: früher war alles besser ;), aber ich glaube schon, dass früher, als die ochsen noch oft zur feldarbeit herangezogen wurden, weit mehr über die interaktion mensch-kuh bekannt war.

evtl. mal nach alten büchern für den landwirt suchen? vielleicht ist da was zur "rinderausbildung" ;) drin.

alex

Offline Carlotta67

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #4 am: 02.12.08, 16:57 »

Es gibt keinen Unterschied zum täglichen Umgang mit Pferden. Außer ganz weniges artspezifisches Verhalten wie z.B. daß eine Kuh möglicherweise keineswegs relaxed ist wenn sie den Kopf senkt, sondern man u.U. besser die Beine in die Hand nehmen sollte. Und ein Rindvieh "erstarrt" eher, wo das Pferd noch kämpfen würde.

Das A und O ist, ihnen von Baby an möglichst viel Menschenkontakt angedeihen zu lassen. Zugekaufte Tiere die den Alltag mit dem Menschen nicht gewohnt sind werden fast nie so zahm wie eigene.
Wenn Kälber/Rinder/Kühe von klein auf mit der gleichen Intensität betreut würden wie Pferde auch, wären sie auch genauso zu handeln und werden zutraulich und zahm. Man braucht sie auch keineswegs zu joinen oder zu dominieren, wenn sie es kennen, daß ein böses "NAAAA!" und ein Patscher folgt, wenn z.B. mal mit dem Kopf geschubst wird.

Dem "ersten und einzig wahren Kuhflüsterer" habe ich schon zugesehen. Wie er nach einem Vortrag über die 100%ige, tolle "Join up"-Methode Rinder zähmen wollte. Ein paarmal hat er es geschafft am Gatter vor den dagegenknallenden Rinderschädeln und -hörnern hochzuklettern, irgendwann haben sie ihn doch erwischt und er wurde von Helfern oben rübergezogen und humpelte von dannen. Die Vorstellung wurde als "leider nicht erfolgreich" abgebrochen.  ::)

Ansonsten sind sie ebenso individuell und verschieden und haben ihre ganz eigenen Marotten. Man könnte durchaus die selben Dinge mit ihnen tun, wie mit Pferden auch. Leider interessiert das die wenigsten, da die meisten Menschen keinen nähere Bekanntschaft mit Rindviechern machen und es keine Hobbytiere sind. Dabei hätten gerade die Nutztiere ein zufriedenes Leben ohne Angst vorm Menschen verdient.


Offline MimTopic starter

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #5 am: 02.12.08, 21:20 »
Na du machst mir Mut Charlotta :-)!

Aber ich kann mir das ganze Bildlich vorstellen, ich bin auch mal ahnungslos zu einer Limousin-hochtragend-Färse in die Box um Wasserbottich zu putzen, glücklicherweise auch im Geräteturnen aktiv, so dass das 2 m Gatter für mich seeeehr schnell zu bewältigen war  ;D.

Nun - die Ochsen hatten ja früher alle Nasenring, oder? Da kann ich auch "flüstern" wenn ich sonen direkten "Draht" zum Tier habe  8). Join-Up zweifleich noch ein wenig, Auftreten - eben das habe ich erlebt - funktioniert gleich oder sogar besser als beim Pferd.

Frage ist - bei den dagegenknallenden Rinderschädeln: Waren es Kühe aus Herde, Jungrinder oder Bullen aus Bullengruppe? Meine Theorie ist auch, dass in den kleinen Gruppen der Bullenboxen ja ein "Sozialverhalten" wie es für Joinup notwendig ist - gar nicht gelernt werden kann, die Trennung von der Mutter ja sofort nach Geburt erfolgt... Mir sind Bullen ja absolut suspekt, hab ich einfach zuviel Muffe, Unberechenbarkeit etc.

Bei Kühen anders, da diese im Laufstall ja in einer Gruppe "ideal" leben ergo tagtäglich die Signale kommunizieren.

Wann-wo-wer war dieser gute erste und wahre Kuhflüsterer? *neugierde* *neugierde*

viele Grüsse

Mim



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Offline Carlotta67

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #6 am: 02.12.08, 22:38 »

Wenn ich mich nicht irre war es ein Schweizer (es mag ca. 3-4 Jahre her sein, zeitgleich fingen die beiden Holländer an durch D zu touren mit ihren "Kuhflüsterer"-Vorträgen), war damals oft auf landwirtschaftlichen Messen mit der "total innovativen Rinderzähmung" unterwegs. Den Namen habe ich -wohl wegen dem *hüstel* Erfolg vergessen- könnte man sicher noch im Netz wiederfinden.

Es waren weibliche Charolais-Jungrinder aus einer "wild" aufgewachsenen Mutterkuhherde.

Das Auftreten und die Art des Bewegens funktioniert im Prinzip genau wie beim Pferd. Z.B. wenn man dicht drankommen will ohne daß sie weglaufen, nicht direkt anschauen und langsam eher von schräg-vorn Richtung Schulter gehen, zum umdrehen lassen und zurücktreiben sehr bestimmt und autoritär frontal von vorne, zum vorwärts treiben schräg von hinten usw.
"Im Prinzip" deshalb, weil es nur bei nicht ZU zahmen Kühen funktioniert. (Die Hundchen-Versionen bleiben einfach sturheil stehen und zwinkern dich an und freuen sich über dein Erscheinen.)

Bei sehr dominantem, bestimmtem Auftreten in einer Herde können durchaus welche dabei sein die sich dadurch erst recht und schnell provoziert fühlen. Im Laufstall kann man immer noch schnell irgendwo drüber-/drauf springen, auf die Weide gehe ich in die größte Gruppe (60 Tiere) vorsichtshalber niemals ohne Stock. Auch wenn gleich 10 übermütig angaloppiert kommen, die knuddeln wollen und sich der Rest normal verhält sind doch immer 2-3 dabei, die man nie aus den Augen lassen sollte und man weiß nie, ob gerade eine brünstig ist/wird und aufdringlich wird.
Wäre ja in einer so großen Pferdeherde nicht anders.
Wir haben eine "Wachkuh", die grundsätzlich im Stall erst weggelockt werden muß bevor der TA oder ein Zuchtwart o.ä. den Laufstall betreten kann.
Schwierig, wenn es fremde Tiere sind die man nicht einschätzen kann. Wenn ich in fremde Laufställe muß, bleibe ich immer in der Nähe vom Freßgitter oder hab ein Notgestänge im Auge, auf daß ich raufklettern könnte.

Daß sich die anderen im Umgang mit Menschen stark an den Ranghöchsten orientieren, habe ich noch nicht feststellen können. Da sie alle das gleiche Maß an Menschenkontakt haben nehmen sich die Zutraulichen kein Beispiel daran ob eine Häuptlingskuh weicht oder herkommt.

Sie sind alle genauso verschieden und individuell wie es Pferde auch sind. Manche sollte man lieber mit Vorsicht genießen, manche könnte man mit ins Haus nehmen. Manche haben Lieblingskratzstellen, manche mögen keine fremden Menschen, manche gehen zu jedem hin, manche sind grobmotorisch, manche sehr sanft und zart. Einige erkennen einwandfrei ihren Namen, einige bleiben liegen und man kann sich daneben setzen, einige lieben es in den Haaren zu wühlen, einige ziehen lieber am Hemd.
Allerdings kann man nicht abstreiten, daß auch einige von Geburt an nicht scharf auf Körperkontakt sind und immer scheu bleiben. Selbst wenn man sie als kleine Kälber dann doch anfassen kann, verliert sich das später wieder. Sie ziehen sich eher zurück und sind mit Artgenossen glücklicher. Wenn sie sonst unauffällig mitlaufen ist es ok.

Völlig durchgeknallte panische, die für sich und andere Lebewesen "grundlos" wirklich gefährlich waren habe ich erst 4 Stück erlebt. In den Fällen war es für alle gesünder sie auszusortieren.

Zur Frage wieviel Zeit, Nerven und Verletzungen das spart: Unmengen. Ist mir scheißegal, daß anfangs und teilweise jetzt nach 6 Jahren auch noch alle Kollegen-Nachbarn über mich gelacht haben, wie ich mit den Viechern umgehe und rede. Inzwischen läßt sich immerhin der eine oder andere mal dazu herab festzustellen wie brav und problemlos unsere Viecher sind, zumindest der größte Teil. Wir können fast alles ohne Streß zu zweit erledigen und brauchen zum verladen keine 6 Leute zusammenzutrommeln.
Neugeborene Kälber auf der Weide dürfen wir gerne besichtigen und anfassen, ohne bedroht zu werden. Diesen Sommer sind uns zweimal acht größere Kälber/Rinder vorm Haus entwischt, die sind auf Pfiff und Rufen vor der Straße umgedreht und zurückgekommen.
GG habe ich beigebracht, daß "annehmen und nachgeben" auch beim Führen am Halfter von Rindviechern funktioniert und man evtl. sogar noch schneller von A nach B kommt -und wenn meine noch auf "althergebrachte Weise" völlig blödsinnig und ohne Grund schreienden, stockwedelnden SE mitmachen wollen krieg ich nen Anfall. Entweder GG stellt sie ruhig oder ich gehe.

Bei zwei Nachbarn mit Mutterkuhherden ist der Unterschied enorm: Beim einen kann man nur mit Trecker in die Weide fahren, da sie null Menschenkontakt gewohnt sind, beim anderen kommen die meisten angelaufen und wollen gucken und lassen sich streicheln. Die werden von Geburt an mit der Hand gefüttert (sprich im Winter im Stall zur Fütterungszeit am Halsband aus dem Kälberabteil zur Mutter gebracht) und geknuddelt.

Hört sich sicher alles kitschig und dämlich an, aber ich stehe dazu. Wenn sie es von klein an kennen vertrauen sie dir, machen fast nie Probleme und werden äußerst vorwitzig und neugierig.

Offline terra

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #7 am: 02.12.08, 23:43 »
Interessantes Thema :D

Zum Cowmanship müsste man sich mal wirklich intensiv mit dem Kuhverhalten beschäftigen. Vielleicht könnte man vergleichende Forschungen an Büffel- und Zebraherden heranziehen.
Meiner Meinung nach sind Kühe weit weniger duldsam wie Pferde, sich grundsätzllich ihrer Kraft bewusst und hochintelligent. Ausserdem wissen sie, wie hart ihr Schädel und wie stabil ihre HWS ist ;D


Offline Carlotta67

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #8 am: 03.12.08, 01:14 »

Sorry, ich hab mich eben natürlich wieder viel zu emotional ausgelassen.
Einen richtigen Vergleich könnte man in der Tat nur mit völlig wild lebenden, nicht domestizierten Tieren ziehen.

"Das Kuhverhalten" von denen, die auf Höfen leben entspricht aber doch grob gesehen halt dem eines Fluchttieres. Ob sie den Menschen als Grund zum flüchten oder als genügend schwächeren Feind zum angreifen sehen, hängt von so vielen Faktoren ab.
Wieviel Menschenkontakt kennt speziell diese Herde, welche Rasse (viele TÄ fürchten sich am meisten vor Limousins),
läuft ein Bulle in der Herde mit, sind in genau dieser Herde viele -ich sag mal "selbstbewußte" statt "dominante"- Tiere, wie ist die Stimmung an dem Tag in der Herde (sind einige brünstig herrscht viel Unruhe) usw.

Ein gültiger Ratschlag, der auf alles paßt was unter Rind läuft wird schwer zu finden sein.

Ausserdem wissen sie, wie hart ihr Schädel und wie stabil ihre HWS ist ;D
Das stimmt allerdings. Ihr Kopf ist ihre Waffe und die gefährlichste Stelle.

Das größte Gefahrenpotential liegt m.E. gar nicht in dem rinderspezifischen Verhalten sondern darin, daß es meistens eine große Anzahl an Tieren auf einem Haufen ist.
Sich in einer kleinen Gruppe von 4 oder 5 Tieren als Mensch zu bewegen ist normal kein Problem. Aber zwischen 60 zu stehen und alle gleichzeitig gut zu überblicken und ihr Verhalten schnell richtig zu deuten ist schier unmöglich und alleine deswegen schon gefährlich.
Aber eben nicht gefährlicher oder anders, als als Mensch alleine zwischen 60 Pferden zu stehen denke ich.

Doch, nochwas ist anders als an Pferden: Wenn sie brünstig sind kann man keiner richtig über den Weg trauen, dann machen sie die unmöglichsten Sachen und können innerhalb von Sekunden umschlagen. Man sieht schon wenn ein vertrautes Tier "heute komisch guckt", aber schlecht wenn man mittendrin steht. Da gehe ich auch der liebsten, bravsten Kuh lieber 2 Tage aus dem Weg. Problem ist dabei, von weitem sieht man es ihnen oft nicht an. Man merkt es manchmal erst, wenn man in ihrer direkten Nähe ist. So extrem ist das bei rossigen Stuten längst nicht.

Meiner Meinung nach sind Kühe weit weniger duldsam wie Pferde
Ich finde eigentlich, daß sie sich schneller abfinden und resignieren. Also wenn sie keinen Ausweg mehr sehen, erstarren sie einfach und warten ab. Bei uns passiert es öfter mal, daß eine wenn sie im Streß nicht mehr weiß was sie tun soll sich einfach hinlegt und 2 Stunden dort liegen bleibt. Zum Beispiel vorm Klauenpflegestand, wenn sie dort absolut nicht hinein will.
Aber vielleicht ist auch das bei Schwarzbunten anders, denn die Klauenpflege bei Limousins soll sehr stressig sein.
Limousins sind vielleicht noch "ur-büffeliger" und unsere im Urgewalt-Verhalten schon sehr abgeschwächt.
 

Offline terra

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #9 am: 03.12.08, 02:09 »
vielleicht ist duldsam einfach falsch ausgedrückt...

Rinder gehen meiner Meinung nach den "Gegner" direkter an, wenn sie sich bedroht/gestört fühlen - das Pferd schlängelt sich eher weg.
Die Kuh legt sich stur hin und bleibt liegen oder geht auf den Mann - das Pferd haut sich alle Knochen kaputt, nur um zu fliehen, geht aber eigentlich nicht gegen den Menschen. Wenn was passiert, wars i.d.R. ein Unfall oder erlerntes Verhalten

Ganz ehrlich - ich habe mich zu Fuss auf der Junghengstekoppel (daswaren teilweise auch fast 40)  immer wohler als auf den Rinderkoppeln (Angus und Kreuzung) gefühlt :-[

Offline MimTopic starter

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #10 am: 03.12.08, 08:40 »
Es waren weibliche Charolais-Jungrinder aus einer "wild" aufgewachsenen Mutterkuhherde.   

Ach die wollten sicher nur "spielen"  ;D die wurden nur missverstanden....

Charlotta, ich unterschreib bei dir und halte das weitaus nicht für "verzärteln" oder "kuscheln" sondern für eine gelungende Sozialisation: Vertrauen zum Menschen und Selektion von Kühen, bei denen das Nerveneis dünn ist.

Wir können es uns auch genauer anschauen - leider habe ich grad keine aktuellen Daten zu Hand:

Zahlen der Berufsgenossenschaft aus Kassel:

"Reine" Hornverletzungen gab es im Jahr 2001: 1 Toter und 673 tw. schwer verletzte (die Anzahl der Hornverletzungen sind noch höher, allerdings werden diese nicht explizit in der Statistik verschlüsselt)

Von der Gefährdungshäufigkeit:

Es gab  insgesamt     12.300 Verletzte durch Kühe

und "nur" gut             1.450 durch Bullen,

allerdings 9 Tote durch Bullen und "nur" 3 durch Kühe

und: Es herrschte dabei ein "Nord-Süd-Gefälle" d.h. weniger Unfälle im Norden als im Süden (Genetik, Wechsel Anbindestall - Laufstall, Behornung...?)

Was den Unfallhergang betrifft, so stimmt gibt es hier große Unterschiede:

Kühe Treten und Schlagen mehr (über 55 % der Unfälle), nur knapp 12 % sind ergeben Drücken/Umrennen

bei Bullen führt das Stoßen, dann das Treten (Kälber ähnlich), aber fast 22 % Drücken/Umrennen.
auffällig: Fast 40 % der Unfälle mit Ochsen geschehen durch Stoßen


Gruß Mim
         

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Offline Kaijsa

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #11 am: 03.12.08, 08:46 »
Oh, TOll, Carlotta und terra, ihr wisst ja so viel! :D  Finde das superinteressant!

Kühe haben ja auch ein ziemliches Repertoir- mist, wie schreibt man das?- eine ziemliche Bandbreite an Lauten zur Verfügung: Was sind so die typischen Geräusche?

Ich als ahnungsoser Vorbeigeher/Vorbeireiter kenne
-lautes Muh mit viel "a oder o", ziemlich langgezogen
-Lautes Muh, das ziemlich schrill und hoch klingt, wird gegen Ende immer höher im Ton
-so ein komisches Niesen (meistens zucken sie dabei noch mit dem Kopf)

Haben Kühe so eine Art Kontakt-Muh *gg* wie bei Pferden das laute WIehern auf Distanz, wenn sie alleine sind oder machen Rinder so etwas nicht?
Unterscheidet sich der "tonfall" eigentlich von Rasse zu Rasse? Gibt es "gesprächigere" Rassen als andere?
Gibt es ein Begrüßungston wie bei Pferden das "Blubbern"?

Beim Pferd sagt man "horizontale AUsrichtung" ist Stimmungsbarometer. Jetzt habt ihr ja schon erklärt, dass tiefer Kopf (loggisch) bei Kuh nicht ~unbedingt~ etwas gutes zu bedeuten hat. Gibt es da vergleichbare "allgemeinsignale", die man sich merken kann/soll?

(Ok, den Weggestrecken Kuhschwanz als Zeichen für "Kuh ist in heller AUfregung" habe ich mir gemerkt - hoffentlich richtig..?)

Erzählt mal!
Man lernt nie aus....

Offline Sugar-for-Rick

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #12 am: 03.12.08, 08:51 »
Hallo

Früher waren Kühe für mich einfach da und ich habe mich nicht für sie interessiert.

Da mein Pferd grosse Angst vor Kühen hatte, habe ich mit ihm das eine und andere Working Cowhorse-Training mitgemacht. Dort ging es darum, ohne Hektik ein Rind in die gewünschte Richtung zu treiben oder eines aus einer Herde auszusortieren. Die Rinder hatten keinen Grund, Angst zu haben.
Da fiel mir auf, wie unterschiedlich die Viecher im Charakter sind, ähnlich wie Pferde. Da gibt es ganz neugierige, freche, sture etc.  ;D Und es ist erstaunlich, wie fein sie reagieren.

Wieder zu Hause probierte ich dann das Gelernte an Rinderherden auf der Weide aus. Gerade Jungvieh ist ja sehr neugierig einige finden es toll, auf ihrer Seite des Zaunes einem Pferd nachzulaufen.
Ich fand dann, dass dies etwas frech sei.  ;) Also wendete ich mein Pferd, sah dem Leitrind in die Augen und sprach energisch mit ihm. Die Reaktion kam meist prompt, dass es stehen blieb, und mit ihm die anderen Rinder auch. Dann jedoch folgte uns der Trupp wieder. Wenn ich jedoch das Pferd noch einmal wendete, näher auf sie zuritt und etwas lauter sprach, wich das Leitrind 2 Schritte zurück. Und damit war die Sache dann gegessen - die Rinder folgten uns nicht mehr.
Jedoch kam nie Hektik auf, die Herde blieb jeweils ruhig.

Ausgewachsene Milchkühe sind da meist etwas behäbiger und kommen nicht unbedingt angelaufen, wenn sie ein Pferd sehen. Sie reagieren jedoch meiner Meinung nach posisitiv darauf, wenn ich mit ihnen rede, wie brav sie doch seien.  :)

Wenn auch ein Bulle mit auf der Weide ist, dann halte ich mich jedoch zurück und reite einfach an der Herde vorbei. Mit so einem Koloss will ich lieber nicht auf Tuchfühlung gehen.  ;)

Ich wohne in der Schweiz, und in meiner Gegend sind Kühe sehr viel auf der Weide. Auf dem Hof unterhalb des Pferdestalles werden die Kühe zudem in einem Laufstall mit Aussenbereich gehalten, was den Tieren sichtlich gut tut.
Vermutlich sind dann auch so artgerecht gehaltene Kühe deutlich weniger agressiv als ihrere stêts angebundenen Artgenossen.  :-\
Ein Tag ohne Lachen ist ein verlorener Tag.
(Charlie Chaplin)

Liebe Grüsse von Simone

Offline Kiowa

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #13 am: 03.12.08, 09:17 »
Gibt es überhaupt noch Kühe, die in Anbindehaltung gehalten werden :o Ich kenne nicht viele Höfe, aber auf denen ich war (Milchviehhaltung), gab es immer Laufstall - es war zwar voll und eng, aber die Kühe konnten sich immerhin aussuchen, wo und wann und neben wem sie liegen wollten und auch mal ne Runde durch den Stall gehen. Die meisten Ställe haben dann noch eine Art 'Freiterasse' (Auslauf konnte man das nicht nennen, dazu war es zu klein), wo man mal zum Luftschnappen nach draußen gehen konnte. Außerdem hatten sie Windschutznetze, und es wurde nur bei Frost wirklich zu gemacht.
"God put me on this earth to accomplish a certain number of things. Right now I am so far behind that I will never die." (Bill Watterson)

Offline Carlotta67

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Re: "Natural Cowmanship" - Erfahrungen? Praktikabilität?
« Antwort #14 am: 03.12.08, 11:42 »
Gibt es überhaupt noch Kühe, die in Anbindehaltung gehalten werden :o
Jede Menge, aber auch mit starkem Nord-Süd-Gefälle, d.h. richtigerweise andersherum mit Süd-Nord-Gefälle. Du kommst sicher aus dem Norden.

@Mim: Die "spielenden" Charolais-Rinder hätten ihn gerne plattgemacht  :-X. Sie waren in Todesangst. Sie waren ca. 2-jährig, erstmals aus der Herde geholt, aus dem Lkw mitten auf der Messe ins Roundpen abgeladen in brütender Sonne mit hunderten Menschen drumherum und einem Typ in der Mitte, der dachte mit ein bißchen Seilwedeln und treiben würden sie sich ihm anschließen. Die ließen sich keinen Meter treiben.
Viele Besucher und ganze Familien fanden das spektakulär und haben gelacht und geklatscht, als wärs ein Show-Rodeo.
Das kann man denen nicht unbedingt übel nehmen. Ich war wütend, die beiden Viecher hatten das blanke P in den Augen.
Immerhin wurde hinterher gesagt, daß es wohl nicht gut war sie nicht einmal ein paar Stunden vorher in ein Paddock zu stellen um sie etwas an die Umgebung zu gewöhnen.

@Kajisa: Sie machen sehr viele verschiedene Geräusche. Allerdings sind nicht alle so gesprächig. Sie äußern sich aber sehr wohl über die Stimme, was von leisem Hallo-Brummeln über entrüstetes lauteres Brummeln "geh nicht vorbei, schieb Silage ran!", über alle möglichen Lautstärken und Variationen geht.
 ;D ;D Bei dem von dir beschriebenen "komischen Niesen mit Kopfzucken" würd ich allerdings schon zweimal hingucken, wenn sie mit Kopf unten die Nase kräuseln und durch die Nase schnaufen ists kein gutes Zeichen.
Ebenso wollen sie keineswegs betteln wenn sie mit dem Vorderhuf scharren.  ::) Dann peilen sie dich gerade an und nehmen Anlauf.

Hm. Allgemeinsignale... MIR ist immer etwas unwohl, wenn eine ausgewachsene Kuh zielstrebigen Schrittes und eilig auf mich zuläuft. Auch wenn es eine Lieblings-Schmuse-Kuh ist, weiß ich nicht, ob sie gerade im Anfangsstadium der Brunst ist und plant mich zu bespringen oder sowas.  :-X Wenn es welche tun, die normalerweise eher zurückhaltend sind ist es jedenfalls gar nicht gut. Wenn ich Kühe holen muß, nehme ich immer den Hund mit den ich zu Hilfe rufen könnte.

Daran ist es auch gescheitert, alleine mit Pferd die Kühe zu holen. Es wurde mir zu gefährlich, weil die sehr Zahmen gar nicht einsehen warum sie vorm Pferd weglaufen sollten und es können immer welche dabei sein, die auf Krawall gebürstet sind weil brünstig, die sind dann auf uns losgegangen.

@sugar: An Weiden mit Bulle drauf, reite ich auch möglichst unauffällig und zügig vorbei. Ich hab immer Angst, er könnte sich vergessen und würde seine Herde gegen den Fremdling doch auch mit einem Sprung über Zaun/Graben verteidigen wollen.
Wenn Jungrinder an den Zaun gerannt kommen wenn ich dran vorbeireite, rede ich auch immer mit ihnen um sie etwas von dem Getobe abzulenken und das Pferd zu beruhigen. Ist dabei egal, ob das unsere eigenen sind oder nicht, ich rufe irgendwas ganz blödsinniges wie "Hallo ihr Verrückten, ihr freut euch ja wieder so heute" aber auch damit Pferd merkt daß ich das Gehopse freudig begrüße und nicht etwa Angst kriege.

Eben habe ich GG gelöchert, ob er ein anderes Gefühl hätte in eine Herde fremder Rinder/Kühe oder in eine Herde fremder Pferde zu müssen. Er sagte, er würde beides niemals tun außer im Notfall um einem Mensch oder Tier zu helfen und dann wäre es auch egal was für eine Herde. Er sagte "umso jünger umso ungefährlicher" und daß er meint, daß Rinder nicht schneller denken sich verteidigen zu müssen sondern auch lieber weggehen (weibliche, wenn Bulle dabei sowieso nicht reingehen). Rossige Stuten sind ihm genauso unheimlich.

Ich weiß nicht, ich kann das auch alles nur sehr subjektiv berichten. Ich bin wohl mit Pferden und Hunden aufgewachsen, aber ich bin erst seit 6 Jahren in Dauerkontakt mit Rindviechern und seit 5 Jahren wohne ich hier.
Alle die die hier geboren sind seit ich hier bin sind für mich nicht viel anders als die Pferde auch, waren ja alle "meine Babies". Es ist ein Unterschied, ob "meine" Charlie, Kitty oder Melina oder xy auf mich zugerannt kommt oder eine ältere Kuh aus vor meiner Zeit bzw. eine die sonst weniger menschenbezogen ist.
« Letzte Änderung: 03.12.08, 13:22 von Carlotta67 »