Hallo, ein toller Text von Hr. Hirt LFB-Augsburg:
Das „Familienhaus“
Auf dem Weg zu einem guten Miteinander
In der Arbeit der Bäuerlichen Familienberatung spielen familiäre Konflikte meist eine wichtige Rolle. Ein Modell, das die Richtung zu einem besseren Miteinander finden hilft ist das „Familienhaus“. Es hat sich in der Beratungsarbeit bewährt und so möchte ich es hier im Folgenden vorstellen. Das „Familienhaus“ ist ein Idealmodell, sozusagen ein Leitstern, auf den es sich zuzuentwicklen gilt, auch wenn man ihn nie ganz erreicht.
Der Baugrund
Unser Leben, unseren Lebensstil, unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten verdanken wir zu einem großen Teil unseren Vorfahren. Viele Opfer wurden gebracht, um das Leben an die nächste Generation weiterzugeben oder um z.B. den Hof als Lebensgrundlage für die Familie zu erhalten. Vieles Wertvolle haben wir als Kinder in unserer Familie bekommen. Es ist wichtig unsere Eltern und Großeltern dafür zu achten. In Westafrika werden die größten Feste an den Todestagen der Verstorbenen gefeiert als Ausdruck der großen Achtung, die ihnen entgegengebracht wird.
Natürlich war aber nicht alles optimal, was unsere Familien uns als Kinder geben konnten. Es liegt ein schweres Jahrhundert hinter uns, das unsere Kindheit mitgeprägt hat: Kriege, Hunger, Not, schweres Unrecht, begangen oder erlitten, haben tiefe Spuren in unseren Familien hinterlassen; als Verbitterung, Strenge, Härte, Gefühlsarmut... Wir stehen in dieser Generationenfolge und an uns ist es, ein Stück davon wieder heiler zu machen und uns mit Erlittenem auszusöhnen. Eine heute 60 jährige Bäuerin wurde als Kind nach der Geburt von ihrer Mutter zur Adoption gegeben. Lange trug sie später deswegen einen tiefen Groll ihrer leiblichen Mutter gegnüber mit sich. Im Alter war es ihr dann möglich ihrer noch lebenden leiblichen Mutter einen versöhnlichen Brief zu schreiben. Seitdem, sagt sie, lebe sie ein ganzes Stück leichter. Von ihrem Vater, den sie nie gekannt hatte, wußte sie, daß er Musiker war. Auch sie liebte die Musik und plegte sie bewußt im Andenken an ihn.
Das Leben unserer Vorfahren zu achten bedeudet gleichzeitig frei dafür zu sein, die Aufträge, die wir von ihnen mitbekommen haben, kritisch zu hinterfragen. Wir haben das Leben bekommen um es eigenverantwortlich zu gestalten. Es ist schön, die Tradition eines Hofes fortsetzen zu dürfen, aber nicht in jedem Fall und auf alle Kosten. Es ist schön, den Eltern von der empfangen Liebe etwas zurückzugeben, aber wir sind nicht dafür da, deren Träume zu verwirklichen, sondern die unseren. Ein Landwirt, Ende 40, mit einem stattlichen Hof, gerät in eine tiefe depressive Krise bis zum Suizidversuch. Er wollte eigentlich nie Landwirt werden und hatte von anderem geträumt. Doch hatte er sich dem Willen seines Vaters untergeordnet und 30 Jahre im ohnmächtigen Widerstand gegen seinen Vater etwas getan was er eigentlich nie wollte. Nun versucht er noch in späten Jahren, einen Ausstieg aus der Landwirtschaft zu finden.
Das Erdgeschoss
Im Erdgeschoss befindet sich normalerweise der Lebensbereich der ganzen Familie. Hier trifft man sich zum gemeinsamen Essen, verbringt gemeinsame Abendstunden, hier werden Gäste empfangen und Feste gefeiert. zwei Türen sind für diesen Lebensbereich ganz besonders wichtig:
Es muß, erstens, eine Türe hin zum landwirtschaftlichen Betrieb geben die hin und wieder auch geschlossen werden kann. Der Betrieb nimmt großen Raum in der bäuerlichen Familie ein, oft bis zum zentralen Thema bei den Essenszeiten, und es ist auch gut, wenn hierin eine gemeinsame, verbindende Lebensaufgabe gesehen wird. Aber es muß auch Raum und Zeit sein für andere familiäre Themen und Lebensaspekte. Zeit zum Ausruhen und Entspannen, Zeit für einen gemeinsamen Spieleabend, für ein paar Tage Urlaub, zum Spielen und Spaßen mit den Kindern zum Konflikte Ansprechen und Austragen, für offene Gespräche miteinander. Immer wieder müssen dabei auch einseitige Familientraditionen überwunden werden. Wie der junge Landwirt der klagt, daß er es einfach nicht schafft guten Gewissens mit den Kindern zu spielen. Immer spüre er eine Art Antreiber in sich, der ihn zur Arbeit ruft und gegen den er sich kaum wehren könne. Und manchesmal ist es nicht nur eine innere Stimme, sondern es klopft tatsächlich ans Fenster und der Altenteiler ruft zum Weitermachen.
Und hier sind wir auch bei der zweiten Tür, der Tür zwischen Jung und Alt. Es ist schön, wenn diese Türe leicht aufgeht, wenn man wohlwollenden Zugang zueinander hat, sich gegenseitig aushilft in Haushalt, Betrieb, bei der Kinderbetreuung. Aber es muß diese Tür auch geschlossen werden können. Beide, Jung und Alt brauchen auch ihr eigenes, privates, eigenständiges Leben. Insbesondere die junge Ehe braucht diesen abgegrenzten geschützten Raum um zu einer neuen eigenständigen Familie zusammenzufinden, in der die Beziehungen miteinander an die erste Stelle rücken. Und es ist die Herausforderung vor allem für den jungen Landwirt, wohlwollend, doch klar und deutlich, sich gegen die Eltern abzugrenzen, sei es bei der Arbeit auf dem Hof, bei der Kindererziehung, den Essenszeiten oder der Freizeitgestaltung.
Das Obergeschoss
Im Obergeschoss sind traditionell das Schlafzimmer der Eltern und die Zimmer für die Kinder. Das Schlafzimmer, symbolisch gesehen für die Paarbeziehung, ist die wichtigste Basis für die ganze Familie. Wenn die Paarbeziehung leidet und krankt, dann leidet die ganze Familie, besonders auch die Kinder und häufig sogar der landwirtschaftliche Betrieb. Es lohnt sich deshalb, sich für eine lebendige Partnerschaft zu engagieren, eine eigene Kultur, eigene Riten zur Pflege der Beziehung zu entwickeln. Das können verlängerte Frühstücke sein, Spaziergänge am Abend, Partnermassagen, zum Tanzen, ins Kino, oder einfach zu einem guten Gespräch in ein nettes Lokal gehn. Oft muß dies gegen innere und äußere Widerstände immer wider neu errungen werden.
Es ist normal, daß Paarbeziehungen auch Krisenzeiten durchleben und zu bestehen haben. Wichtig ist dabei, daß die Kinder nicht in das Konfliktfeld geraten. Kinder haben im „Schlafzimmer“ auf die Dauer nichts zu suchen. Leicht sind Eltern in unerfüllten Paarbeziehungen versucht, in ihren Kindern einen Partnerersatz zu suchen oder sie als Verbündete im Streit mit dem Partner zu mißbrauchen; aber damit bekommen die Kinder einen schweren Balast für ihr eigenes Leben aufgebürdet.
Die Türen zwischen Eltern- und Kinderzimmer sind auch ein Symbol für die Grenzen, die Eltern ihren Kindern in der Erziehung setzten müssen. Kinder brauche Grenzen, um sich daran zu orientieren, zu reiben und in der Pubertät dann auch zu überschreiten. Aber schön ist es, wenn dann die Türen zueinander wieder geöffnet werden und die Kinder, Vertrauen, Nähe, Offenheit und Zärtlichkeit bei ihren Eltern finden können.
Das Dachgeschoss
In unserem Idealmodell des Familienhauses dürfen noch zwei wichtige Zimmer nicht fehlen, die wir hier bildlich im Dachgeschoss unterbringen. Zu was sind diese wohl noch notwendig? - Eine Paarbeziehung kann nicht wirklich gelingen, wenn nicht jeder Ehepartner einen Bereich für sich alleine hat. Mann kann nicht alle seine persönlichen Wünsche und Bedürfnisse mit seinem Partner erfüllen. Damit wäre dieser schnell überfordert. Es ist gut, daneben auch noch persönliche Freundschaften zu pflegen, Hobbies zu entdecken, Geselligkeit und Anerkennung im Engagement in Vereinen und Organisationen zu erfahren. Jeder Partner muß sich alleine darum bemühen und je das eigene, das ihm persönlich gut tut, finden. Will man aber wirklich aus der eigenen inneren Kraft heraus leben, und das ist notwendig für eine langfristig beglückende Partnerschaft, so muß sich jeder der Partner auf die Suche nach seinen spirituellen Quellen machen und sich freie Zeit auch dazu gönnen.
Natürlich gibt es Phasen im Familienleben wo nur sehr wenig Zeit für diesen eigenen Bereich zu erübrigen ist; wenn die Kinder noch sehr klein sind, und/oder der Betrieb gerade einen größeren Entwicklungsschritt macht. Aber er darf nicht aus dem Auge verloren werden! Denn spätestens mit dem Ende der Erwerbsphase wird es sich rächen, diese persönlichen Interessen nicht entwickelt zu haben. Man wird sich schwer tun im Alter, wenn in jüngeren Jahren dazu noch kein Fundament gelegt ist.
Die Speisekammer
Wirklich gut leben läßt sich in diesem Haus aber erst dann, wenn die Speisekammer für emotionale Nahrung gut bestückt ist und rege davon ausgeteilt wird. Wir alle sind angweisen auf diese emotionale Nahrung wie Lob, Anerkennung, Dank, Wohlwollen, Zärtlichkeit, Humor, Trost und Ermunterung. Ohne diese können wir genauso wenig leben wie ohne körperliche Nahrung. Nur kann man sich diese nicht selber geben; wir sind darauf angewiesen, sie voneinenader zu bekommen. Die Hölle wurde einmal beschrieben als ein Ort, an dem alle um einen großen, vollen, dampfenden und duftenden Topf guter Nahrung sitzen. Nur die Löffel, die jeder in der Hand hält, haben viel zu lange Stiele um sie an den eigenen Mund führen zu können. So sitzen in der Hölle ausgehungerte, magere Gestalten um diesen Topf. Im Himmel dagegen – da sitzen alle um den gleichen Topf mit den gleichen langen Löffeln – nur füttert man sich dort gegenseitig.