Weihnachten ohne Mutter
Seit Jahren läuft das Weihnachtsfest nach den selben Ritualen ab. Unsere Kinder, drei an der Zahl, mit Ehepartner und fünf Enkelkindern kommen am Heiligen Tag zum Mittagessen zu uns. Nachmittags gibt es Kaffee und Kuchen und anach dem Kirchgang findet die große Bescherung statt.
Danach werden die Geschenke eingesammelt und der ganze Besuch fährt nach Hause, um mit den Kindern einige schöne Stunden unterm eigenen Tannenbaum zu verbringen. Wir sitzen da mit einem Berg von Geschirr und zerrisssenem Geschenkpapier. Mit Mühe schaffen wir die Herrrichtung der Wohnung für den nächsten Tag. Denn am ersten Feiertag ist die ganze Bagage wieder rechtzeitig zum Mittagessen da.
Sie bleiben über Nacht und fahren gegen Abend des zweiten Tages wieder nach Hause. Ich als Ehemann sage immer: „Die fallen wie die Heuschrecken bei uns ein!“
Doch in dieem Jahr ist alles anders. Kurz vor Weihnachten packt meine Frau die Koffer und verreist mit unbedanntem Ziel: Auf dem Küchentisch liegt ein Brief.
„Liebe Kinder“, schreibt sie hier, „liebe Kinder, dieses Weihnachsfest müßt Ihr ohne mich verbringen, denn ich bin über Weihnachten nicht zu Hause. Ich verreise ein paar Tage. Wohin ich fahre, sagt ich nicht. Ich muß mich einfach mal erholen und will das Weihnachsfest einmal ganz anders verleben. Euren Vater konnte ich leider nicht überzeugen, mich zu begleiten und so fahre ich eben allein.
Ihr könnt ja gerne euren Vater und Opa besuchen. Den Ablauf dieser Feiertage kennt Ihr ja und so werdet Ihr es in diesem Jahr auch ohne mich schaffen. Ich habe zwar keine großen Vorbereitungen getroffen, aber unter Euch sind ja einige perfekte Hausfrauen, die mir immer die guten Ratschläge gegeben haben und die alles besser wissen und besser können als ich.
Die Besucherbetten habe ich mir immer bei unserem Nachbar Schmidt geliehen und allein ins Haus geschleppt. Wir können uns die Betten in diesem Jahr wieder ausleihen, nur müßt Ihr sie selber abholen.
Das Festmal will ich Euch nicht vorschreiben, darum habe ich auch nichts eingekauft. Die Menge für zwölf Personen und drei Tage könnt Ihr ja ausrechnen. Die Kosten könnt Ihr ja durch drei Familie teilen. Ich habe immer drei Einkaufstouren mit meinem Kleinwagen gemacht, um die ganzen Waren nach Hause zu bringen. Aber Ihr mit Euren großen Limousinen schafft das sicherlich in einer Tour. Da passen die schweren Getränkekisten auch viel besser rein, als in mein kleines Auto.
Es ist für Euch ja alles viel einfacher und soviel Arbeit machen diese Vorbereitungen ja auch nicht, so habt Ihr immer gesagt, wenn ich mir Sorgen um die Ausrichtung des Weihnachtsfestes machte.
Vielleicht könnt Ihr ja auch in der Gaststätte essen, denn das Abwaschen der Geschirrberge ist doch sehr anstrengend und beansprucht viel Zeit. Ansonsten könnt Ihr ruhig das neue Geschirr benutzen. Ich habe eine Nachkaufgaratie. Sollten die Kinder mal eine Tasse oder einen Teller an die Wand werfen und es geht etwas zu Bruch, so ist das nicht so schlimm. Die Preisliste liegt in der Schublade, schreibt bitte auf, welches Teil kaputt ist, legt den Zettel und das Geld dafür in die Schulblade. So kann ich später das Service wieder vervollständigen.
Über eins mache ich mir doch große Sorgen. Wer tritt als Schlichter auf, wenn Ihr Euch bei Euren Diskussionen in den Haaren liegt und ich nicht da bin? Ihr Wißt, Euer Vater hält sich aus allen Dingen raus, um seine Nerven zu schonen. Das beste wird sein, Ihr haltet Euch alle in bißchen zurück, auch bei Erziehungsfragen der Kinder. Jeder macht bei der Aufzucht seiner Kinder Fehler. Hier muss ich mir selber auch einige Fehler eingestehen. Aber man kann ja immer dazulernen und da bin ich jetzt dabei.
Übrigens, diese Reise finanziere ich von dem Geld, das ich sonst für Essen, Getränke und Geschenke ausgegeben hätte. Eine Bitte habe ich noch, ich möchte in diesem Jahr keine Geschenke von Euch. Nehmt doch das Geld, das Ihr immer für Geschenkgutscheine für mich ausgegen habt und kauft Euch davon selber ein kleines Weihnachtsgeschenk. So muss ich nicht noch extra Geschenke für Euch einkaufen.
Ich wünsche euch ein ruhiges, besinliches Weihnachtsfest.
Bis bald, Eure Mutter und Oma.