Anmerkung zu: BFH 3. Senat, Urteil vom 25.01.2007 - III R 85/06
Autor: Friederike Grube, Ri'inBFH
Erscheinungsdatum: 30.04.2007
Quelle:
Normen: § 31 EStG, § 233 AO 1977, § 37 AO 1977, § 66 FGO, § 114 FGO
Fundstelle: jurisPR-SteuerR 18/2007 Anm. 1
Herausgeber: Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH
Prof. Dr. Franz Dötsch, RiBFH
Beginn der Frist für die Festsetzung von Prozesszinsen auf Kindergeld
Leitsatz
Zahlt die Familienkasse während des Klageverfahrens das begehrte Kindergeld aufgrund eines außergerichtlichen Eilverfahrens vorläufig aus, beginnt die Frist für die Festsetzung von Prozesszinsen nicht mit Ablauf des Jahres der Auszahlung (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO), sondern erst mit Ablauf des Jahres, in dem der Anspruch auf Prozesszinsen entsteht. Erlässt die Familienkasse im weiteren Verlauf des Verfahrens den beantragten Kindergeldbescheid, entsteht der Anspruch auf Prozesszinsen zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Rechtsstreit aufgrund der übereinstimmenden Erklärungen der Beteiligten erledigt (§ 236 Abs. 2 Nr. 1 AO).
A.
Problemstellung
Zu entscheiden war, ob die vorläufige Auszahlung des streitbefangenen Kindergeldes während des anhängigen Klageverfahrens nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO bereits die einjährige Festsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 1 AO in Lauf gesetzt hat und deshalb der Anspruch auf Prozesszinsen schon vor Beendigung des Rechtsstreits verjährt war.
B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger beantragte im Januar 2002 Kindergeld für seinen im Mai 1975 geborenen Sohn T. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab und wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die hiergegen erhobene Klage ging am 14.05.2002 beim Finanzgericht ein. Auf den außerhalb der Klageverfahrens gestellten Antrag zahlte die Familienkasse am 23.12.2002 im Wege der Aussetzung der Vollziehung vorläufig das streitbefangene Kindergeld für T für die Monate Januar bis Mai 2002 von insgesamt 770 € aus. Am 15.06.2005 half die Familienkasse dem Klagebegehren ab und bewilligte dem Kläger für T das begehrte Kindergeld für Januar bis Mai 2002. Daraufhin erklärten die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit für erledigt. Das Finanzgericht stellte das Verfahren ein.
Mit Schriftsatz vom 19.06.2005 beantragte der Kläger bei der Familienkasse, ihm Prozesszinsen für den Zeitraum vom 14.05.2002 bis zum Zahlungseingang am 23.12.2002 auf den jeweils fälligen Kindergeldbetrag – insgesamt 26 € – zu bezahlen. Dies lehnte die Familienkasse unter Hinweis darauf ab, dass wegen der Auszahlung des Kindergeldes bereits im Dezember 2002 nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO zwischenzeitlich die einjährige Festsetzungsfrist nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO abgelaufen sei. Der Anspruch auf Prozesszinsen sei daher verjährt. Das FG schloss sich der Auffassung der Familienkasse an und wies die Klage ab (FG Münster, Urt. v. 24.07.2006 - 14 K 1711/06 Kg - EFG 2007, 492). Der BFH hob das Urteil des Finanzgerichts auf.
Nach Auffassung des Finanzgerichts war der Anspruch des Klägers auf Prozesszinsen für die Zeit vom 14.05. bis 23.12.2002 nicht verjährt. Die Festsetzungsfrist betrage nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO ein Jahr und beginne in den Fällen des § 236 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer erstattet oder die Steuervergütung ausgezahlt worden sei (§ 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO). Der Rechtsanspruch des Klägers auf Prozesszinsen sei nach § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO erst mit der Erledigung des Rechtsstreits durch den Erlass der begehrten Kindergeldfestsetzung im Kalenderjahr 2005 entstanden. Dieser Zeitpunkt sei auch maßgeblich für den Beginn der Festsetzungsfrist.
Die vorläufige Auszahlung des Kindergeldes während des Klageverfahrens bereits im Dezember 2002 stehe dem nicht entgegen. Denn das Kindergeld sei nicht endgültig zur Erledigung des Rechtsstreits i.S.v. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO, sondern lediglich vorläufig aufgrund eines vom Kläger angestrengten außergerichtlichen Verfahrens gewährt worden. Nach der Rechtsprechung des BFH entstehe der Rechtsanspruch auf Prozesszinsen i.S.v. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO nur, wenn der erledigte Rechtsstreit ursächlich für die Herabsetzung der Steuer gewesen sei (BFH, Urt. v. 15.10.2003 - X R 48/01 - BStBl II 2004, 169). Dementsprechend sei auch der Wortlaut des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO – „in den Fällen des § 236“ – dahingehend zu verstehen, dass für den Beginn der Festsetzungsfrist ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Rechtsanspruch i.S.v. § 236 AO und der Auszahlung der Steuervergütung bestehen müsse. Die Anwendung des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO setze somit voraus, dass der Anspruch auf Prozesszinsen bereits entstanden sei. Sei die Steuervergütung tatsächlich – wie im Streitfall – bereits früher aus anderen Gründen ausbezahlt worden, so habe dies lediglich Bedeutung für die Dauer des Zinslaufs, nicht aber für den Beginn der Festsetzungsfrist.
C.
Kontext der Entscheidung
Das Kindergeld wird nach § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung ausbezahlt. Der Anspruch auf Kindergeld gehört damit zu den nach § 233 AO zu verzinsenden Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis i.S.v. § 37 Abs. 1 AO. Der Zweck des Anspruchs auf Zahlung von Prozesszinsen nach § 236 AO besteht darin, dem Gläubiger eines Erstattungs- oder Vergütungsanspruchs für die Vorenthaltung des Kapitals und der damit verbundenen Nutzungsmöglichkeiten zumindest für die Zeit ab Rechtshängigkeit des Anspruchs i.S.v. § 66 FGO eine Entschädigung zu gewähren (BFH, Urt. v. 16.11.2000 - XI R 31/00 - BStBl II 2002, 119). Mit diesem Sinn und Zweck wäre es unvereinbar, wenn durch eine vorläufige Auszahlung des streitbefangenen Betrages im Wege einer außergerichtlichen Eilentscheidung während eines u.U. mehrjährigen Klageverfahrens dem berechtigten Anspruch auf Prozesszinsen der Boden entzogen werden könnte.
D.
Auswirkungen für die Praxis
Der BFH hat klargestellt, wie der Wortlaut des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AO für den Beginn der einjährigen Festsetzungsfrist bei einem Anspruch auf Prozesszinsen zu verstehen ist. Danach kommt es nicht ausschließlich auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Auszahlung des streitbefangenen Geldbetrages an. Vielmehr muss zugleich der Anspruch auf Prozesszinsen i.S.v. § 236 AO bereits entstanden sein. Die Entscheidung ist bedeutsam für alle Fälle, in denen während des Klageverfahrens der streitbefangene Geldbetrag – etwa auch im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO – ausbezahlt wurde und das Klagebegehren letztlich Erfolg hat, so dass auch dem Grunde nach ein Anspruch auf Prozesszinsen nach § 236 AO gegeben ist.
Quelle:www.juris.de