Chancen für ostdeutsche Landwirtschaft, für bäuerliche Betriebe und für den Umweltschutz
Berlin (agrar.de) – Rückendeckung für seinen Reformwillen hat EU-Agrarkommissar Franz Fischler von Umweltschützern und Bauern erhalten. Die Stiftung Europäisches Naturerbe (Euronatur) und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) forderten auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin die Bundes- und Landesregierungen, die Parteien und die maßgeblichen gesellschaftlichen Verbände im ländlichen Raum dazu auf, die positiven Ansätze in den Vorschlägen zur Reform der europäischen Agrarpolitik mit Nachdruck zu unterstützen. Fischler wird am Mittwoch (10. Juli) seine Vorschläge der Öffentlichkeit vorstellen; wesentliche Inhalte sind jedoch bereits durchgesickert.
Die Verbände lobten insbesondere, dass Fischler nun die Brüsseler Direktzahlungen an die Kriterien Umwelt und Arbeit binden wolle. ‚Das, was Fischler an Änderungen der so genannten Agenda 2000 plant, weist eindeutig in die richtige Richtung. Hervorzuheben ist zum Beispiel, dass die Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe in Zukunft EU-weit an Mindeststandards für Umweltschutz, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit gebunden werden sollen. Damit wird die Leistung der Bauern honoriert, die schon heute umwelt- und tiergerecht wirtschaften‘, betonte Lutz Ribbe, umweltpolitischer Direktor von Euronatur. Fischler habe damit eine zentrale Forderung aufgegriffen, die 13 maßgebliche bundesdeutsche Verbände im Oktober letzten Jahres in der gemeinsamen Plattform ‚Auf dem Weg zu einer neuen Agrarpolitik in der Europäischen Union‘ vorgelegt hatten.
Der Vorsitzende der AbL, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, begrüßte insbesondere das Vorhaben der Kommission, bei der Bemessung der Direktzahlungen künftig den Faktor Arbeit mit zu berücksichtigen. Fischler schlägt vor, bei der schrittweisen Kürzung und Umwidmung der Direktzahlungen zugunsten gezielter Programme zur ländlichen Entwicklung für jede Arbeitskraft einen Freibetrag von der Kürzung auszunehmen (5.000 Euro für die ersten beiden Arbeitskräfte im Betrieb, 3.000 Euro für jede weitere Voll-Arbeitskraft). ‚Indem Fischler diesen Freibetrag pro Arbeitskraft vorschlägt, erkennt er eine große Schwäche des bisherigen Prämiensystem an. Denn bisher hat es zu ungeheuren Benachteiligungen bäuerlicher Arbeit gegenüber der rationalisierten Produktion geführt. Die geht soweit, dass in einigen rationalisierten Betrieben heute pro Arbeitskraft bis zu 75.000 Euro an Prämien im Jahr gezahlt werden, während die bäuerlichen Betriebe mit einem Zehntel davon auskommen müssen‘, erklärte Graefe zu Baringdorf.
Um diese Benachteiligung bäuerliche Betriebe abzubauen, lautete der Vorschlag der Verbände in der Plattform, die Direktzahlungen in Abhängigkeit von der Prämienhöhe abzustaffeln. Bis zu 30.000 Euro sollen kürzungsfrei bleiben; der Prämienbetrag zwischen 30.000 und 100.000 Euro soll um 25 Prozent gekürzt werden, der zwischen 100.000 und 200.000 Euro um die Hälfte und der Betrag über 200.000 Euro um 75 Prozent. Gleichzeitig sollen die Betriebe die Möglichkeit erhalten, über den Nachweis von Lohnkosten ihren Prämienanspruch auf bis zu 100 Prozent ihres ungestaffelten Anspruchs zu erhöhen. Auf diese Weise soll die Diskussion um ‚Groß oder Klein‘ überwunden und die Arbeit in den Mittelpunkt gestellt werden.
Euronatur und AbL begrüßen die von Fischler vorgesehene Obergrenze für Direktzahlungen von 300.000 Euro pro Betrieb und Jahr als einen wichtigen Schritt in diese Richtung. Von der Obergrenze werden in Deutschland rund 2.000 (= 0,5 Prozent) der insgesamt 410.000 landwirtschaftlichen Betriebe betroffen sein. Ribbe: ‚Dieser Ansatz wird von uns aber nicht nur aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit begrüßt. Dieser Ansatz bietet gleichzeitig auch eine große Chance für die Entwicklung in Ostdeutschland. Denn die Gelder, die aufgrund der Obergrenze zunächst nicht zur Auszahlung kommen werden, gehen dem Land und somit der Wirtschaft der Region nicht verloren, sondern fließen in Programme zur Ländlichen Entwicklung inklusive des Umweltschutzes.‘
Die Verbände äußerten deshalb ihr Unverständnis darüber, dass einige Politiker gegen diese Pläne Widerstand ankündigten. Es gelte jetzt, die vorhandenen Chancen zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen im ländlichen Raum zu nutzen. ‚Wer sich wieder in Blockadehaltung übt erweist und sich als Lobbyist der rationalisierten Großstrukturen, die Arbeitsplätze vernichten und nicht neue schaffen. Die Finanzmittel, verwendet in einem Programm zum Aufbau vielfältiger und nachhaltiger ländlicher Strukturen und zur Schaffung artgerechter Tierhaltungen in den weitgehend vieh-leeren Regionen, können einen regelrechten Schub auslösen‘, so Ribbe.
Graefe zu Baringdorf verwies auch in Bezug auf die Obergrenze auf den Vorschlag der Verbände, den Betrieben auf Antrag die Möglichkeit zu geben, über den Nachweis von Arbeitskosten auch zu einer Flexibilisierung der Obergrenze kommen zu können. Fischlers Vorschlag der arbeitskraft-bezogenen Freibeträge nehme diesen Ansatz zum Teil auf. Aber die bisher vorgeschlagenen Freibeträge seien zu gering bzw. müssten ergänzt werden.
Auch auf den zu erwartenden Vorschlag der Kommission zur Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktionsmenge gingen Euronatur und AbL ein. Nach Fischlers Vorschlag sollen die Direktzahlungen der EU nicht mehr pro Hektar Getreide- oder Maisfläche oder pro Bulle oder Ochse gezahlt werden. Vielmehr soll die Prämie, die ein Betrieb in einem bestimmten Zeitraum erhalten hat, zukünftig auf seine gesamte Nutzfläche umgelegt werden.
Die Verbände begrüßten grundsätzlich dieses Vorhaben der Entkopplung von der Produktionsmenge, denn es sei eine Hinwendung zu der Grundprämie, die sie in der Verbände-Plattform vorgeschlagen hatten, und vermindere den Anreiz zur Intensivierung der Landwirtschaft. Indem aber die Summe der bisherigen Prämien, die ein Betrieb derzeit für Tier und Fläche erhält, künftig schlicht auf seine Gesamtfläche übertragen wird, werde sich an der ungerechten Verteilung der Zahlungen zunächst nicht viel ändern, so AbL und Euronatur. Ribbe: ‚Dies ist eine, vielleicht die entscheidende Schwäche des Fischler-Vorschlags. Hier muss nachgearbeitet werden!‘
Insbesondere kritisieren die Verbände, dass so die prämienbedingte Benachteiligung besonders der Grünlandbetriebe und –regionen fortgeschrieben werde. Denn bisher gebe es für Grünland keine Direktzahlungen, wohl aber für Silomais. ‚Der Kommissionsvorschlag muss deshalb ergänzt werden um eine wirksame Grünlandprämie‘, forderte Graefe zu Baringdorf. So sollte die Übertragung der heutigen Rinderprämien auf die Fläche an den Nachweis von Grünland gebunden werden. Zudem müsse im Rahmen der Agrarumweltprogramme eine an ökologische Zusatzkriterien gebundene Grünlandprämie eingeführt werden, die obligatorisch von allen EU-Mitgliedstaaten und Bundesländern anzubieten sei, so der AbL-Vorsitzende.
Euronatur und AbL arbeiten zusammen in einem vom Umweltbundesamt unterstützten Projekt, das zum Ziel hat, die Arbeit der Umweltverbände und von landwirtschaftlichen Organisationen zur EU-Agrarpolitik und deren Reform zu koordinieren. Als ein Ergebnis haben 13 Verbände im Oktober 2001 ihre gemeinsame Position ‚Auf dem Weg zu einer neuen Agrarpolitik in der EU‘ vorgelegt.
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