Autor Thema: Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?  (Gelesen 20473 mal)

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Karol

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Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« am: 07.09.02, 15:33 »
Hallo,
ich bin die Karol und neu hier.
Mich würd mal interessieren, wie Ihr die Zukunft in der Landwirtschaft seht.
Investieren in Zupacht, Kauf von Milchkontigent und Vergrößerung oder Bewirtschaftung der eigenen Flächen, eher minimieren der Kuhzahl und einen anderen Zuerwerb (evt. Betriebshilfe od ähnliches) suchen?
Karol

Offline mary

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #1 am: 04.02.03, 20:20 »
Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?

Diese Frage beschäftigt mich auch:

Ein paar Gedanken um diese Zukunft:

In einer Diskussion im Rindertreff ging es um zukunftsfähige Betriebsgrössen, ebenso in einem Vortrag bei uns in der Nähe, der von der ABL veranstaltet wurde.

700.000 l Milchkontigent  eine AK oder
ein Vollerwerbsbetrieb braucht 500.000 l Kontigent, um zu überleben.

Und die Milchpreise sollen nach dem Willen von Agrarkommisar Fischler auf ein Niveau von ca. 20 cent heruntergefahren werden mit einem teilweisen Ausgleich.

Leistungssteigerung, Wachstum, Wachsen oder Weichen, das sind die Schlagworte, mit denen wir ständig konfrontiert werden.

Aber wie geht es uns Bäuerinnen dabei?

Ich bewundere Betriebe, die in einer grossen Herde eine hohe Leistung haben, es zeigt von Können, Fleiß und Glück.

Ich sehe mich nicht als arbeitsscheues Subjekt, sondern als mitruderndes Mitglied im Runderboot unseres Hofes.

Aber was mich schön langsam belastet, wir sollen ständig wachsen, um immer weniger für unsere Produkte zu erhalten.

Für das Wachstum wird Stallplatz, Fläche, Kontigent benötigt, das wieder einen gewaltigen kapitaleinsatz erfordert, um dann damit das gleiche Einkommen wie zuvor zu haben.

Das ganze erinnert mich fatalerweise immer mehr an die Geschichte vom Hase und vom Igel.

Immer wenn wir als hase das Ziel ereicht haben, schreit der Igel, ich bin schon da.

Der Hase zahlte einen hohen Preis, welchen zahlen wir:

Während Notare, Rechtsanwälte, Kaminkehrer, Tierärzte und viele andere eine Gebührenordnung erlassen haben wird uns ständig der Weltmarkt als Preisgrenze vorgehalten.
Warum arbeiten die anderen in Deutschland nicht zu diesen Bedingungen, und den zusätzlichen wahnsinnigen Bürokratiaufwand gar nicht gerechnet.

Offline mary

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #2 am: 04.02.03, 20:32 »
Teil 2

Was passiert, wenn einer krank wird, wie kann der Partner diese Last noch tragen?

Wie können wir in unserer Spass- und Freizeitgesellschaft unseren Kinder vermitteln, dass sie für eine Zukunft mit wenig Einkommen eine Arbeitsbelastung bekommen, die sich gewaschen hat?

Woher kommen die Arbeitskräfte, die in der Landwirtschaft arbeiten sollen,  mal her?

Wo kommen die Bäuerinnen her, die in diesen Betrieben
aktiv mitarbeiten wollen, wenn die überarbeiteten Mütter ihren Töchtern ständig raten, nur ja keine Bäuerin zu werden?

Wer kann die Beiträge für die Krankenkassen, Alterskassen noch zahlen, das ergibt mal eine soziale Schieflage, die sich gewaschen hat?

Ich bin Bäuerin mit Leib und Seele, aber ich mache mir einfach Gedanken, denn die sich verändernden Rahmenbedinungen beeinträchtigen mein Leben, drum möchte ich dafür kämpfen, auch noch lebenswerte Bedingungen zu haben.
Die Frage: Arbeiten wir um zu Leben oder Leben wir um zu arbeiten, die muss sich jede Frau selbst stellen.

Auch in der übrigen Wirtschaft sind die rosigen Zeiten vorbei, aber wo sind dann mal die Arbeitsplätze für die vielen Bauern und Bäuerinnen, die von der Landwirtschaft nicht mehr leben können.
Ich wünsche mir, dass darüber mal diskutiert wird.

maria

Offline Margit

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #3 am: 05.02.03, 13:16 »
Hallo Mary,

die gleichen Fragen beschäftigen mich auch.
Wir sind ein Vollerwerbsbetreib mit 600 000 kg Quote. Zum größten Teil gepachtet. Täglich sind ca 170 Tiere zu versorgen. Zur Zeit hilft SV mit. Doch was ist, wenn er nicht mehr kann? Wie sollen wir zu zweit die Arbeit packen?  Unsere gemeinsame Freizeit ist auf Sonntagmittag reduziert. Vor 21.00 Uhr kommen wir selten aus dem Stall. Wenn wir eine Einladung für abends haben, sind wir immer die letzten und müssen uns immer noch abhetzten , damit es nicht ganz so spät wird.
Auf Versammlung fährt mein Mann immer alleine und ich mach den Stall fertig.  Geh nochmal überall durch, ob alles in Ordnung ist. Dann ist meist schon nach 22.00 Uhr. Mein Haushalt ist ein Chaos. Regt mich aber schon lange  nicht mehr auf. Noch mehr Arbeit schaffen wir nicht. Leben wollen wir ja auch noch. Also mit dem Wachsen geht auch nicht endlos!!
Man muß schon mit liebe und Begeisterung Landwirt sein , um nicht aufzugeben.

Viele Grüße
Margit



Offline reserl

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #4 am: 06.02.03, 08:59 »
Ich ärgere mich immer wieder darüber, das die meisten Betriebe über einen Kamm geschert werden.

Was für einen Betrieb gilt, muss für einen anderen noch lange nicht gelten.
Die Standortbedingungen sind doch überall anders.
(Quotenpreise, Pachtpreise, Boden, etc...)

Ob es für die Motivation der Bauern und Bäuerinnen förderlich ist, wenn ihnen vorgepredigt wird, das man in Zukunft sowieso nur mit mindestens 700.000 kg Milch, die eine AK ermelkt überlebensfähig ist?

lieben Gruß
Reserl



Manchmal ist es ein großes Glück,
nicht zu bekommen, was man haben will.

Offline Margit

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #5 am: 06.02.03, 12:45 »
Ich frage mich oft, ob diese "Vorbeter"überhaupt mit der Situation in vielen Betrieben vertraut sind.
Die meisten haben doch, wie man bei uns sagt, an jedem Strang gezogen und keinen zerissen.

Viele Grüße
Margit

Offline mary

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #6 am: 21.02.03, 18:54 »
Hallo Reinhard,

Deine Erfahrungen sind ja interessant, tut gut zu merken, dass frau sich auf ihren gesunden Menschenverstand einfach verlassen kann. Mich ärgert es gewaltig, dass Betriebswirtschaftler und Agrarpolitiker einfach irgendwas errechnen und wir hecheln alle dann hinterher.

Kennst Du das Bild mit dem Esel und der Gelben Rübe.
Ein Esel bekommt ein Halfter mit einem Drahtgestell, an das eine Gelbe Rübe gehängt werden kann. Das Drahtgestell ist so konstruiert, dass die Gelbe Rübe genau vor der Nase des Esels zu hängen kommt.
Der Esel will die Gelbe Rübe schnappen und rennt immer schneller, damit er sie einmal erwischt, er rennt über saftige Kleefelder und Wiesen immer der Rübe hinterher, irgendwann kann er nicht mehr und legt sich hungrig auf den blanken Kiesboden. Nichts zu fressen und die Rübe hat er immer noch nicht erwischt.Manchmal kommt mir die Landwirtschaft so vor, als sei sie der Esel.
maria

ratzmoeller

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #7 am: 21.02.03, 19:33 »
Hallo zusammen!
Landwirtschaft wie wir sie kennen hat nur dann eine Zukunft,wenn Politik,Wirtschaft und Verbraucher dazu bereit sind,als Ausgleich zu den für die meisten Bauern dieser Welt katastrophal niedrigen "Weltmarktpreisen",eine angemessene Entlohnung der aufgewendeten Arbeitszeit pro Produktionseinheit( ha;VE;etc.) zu gewähren!

Die Gesellschaft muß begreifen,daß qualitativ hochwertige Lebensmittel und Erhalt der Kulturlandschaft nicht zu Discountpreisen und erst recht nicht zu "Weltmarktpreisen" von den Bauern zu bekommen ist!

Den Fetisch "Weltmarktpreis" gilt es zu bekämpfen,denn er ist unsozial und umweltzerstörend!

Viele Grüße!

ratzmoeller

Silkeb

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #8 am: 23.02.03, 13:55 »
Die Gesellschaft muß auch bereit sein,für qualitativ hochwertige Lebensmittel und Erhalt der Kulturlandschaft den entsprechenden Preis zu zahlen. Wenn es dem Verbraucher nicht wert ist, weil er das Geld lieber woanders ausgibt,  oder er es nicht ausgeben kann, bleibt dies Problem.

Offline Lamarami

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #9 am: 23.02.03, 15:29 »
Hallo zusammen,

ich finde es erschreckend, was ich hier lese. Ich kenne mich zwar bei dem Milchvieh nicht so aus, aber diese Menge von der Ihr schreibt ist ja gigantisch. Wie sollen das zwei Menschen schaffen, wieviel Zeit wird da investiert um es zu erreichen?
Ich kann mir vorstellen, dass da die Partnerschaft und die gemeinsame Freizeit auf der Strecke bleibt.

Da bin ich froh, dass wir doch was ganz anderes machen, unsere Strausse und Lamas sind da doch noch Neuland. Obwohl das auch nicht einfach ist und man immer schauen muss, was geht noch was können wir machen.

Was ich denke, was Zukunft hat, sind auch Betriebe, die auf der Tourismusschine fahren können. Deshalb hoffe ich,dass wir diesen Zweig noch ausbauen.

Viele liebe Grüße Heidrun  :-)

ratzmoeller

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #10 am: 23.02.03, 19:38 »
Hallo heidrun!
Tourismus funktioniert nur wenn die Kulturlandschaft wie wir Bauern sie erhalten und der Tourist sie erwartet weiterhin landwirtschaftlich genutzt wird.
Brachliegendes Ackerland und verbuschendes Grünland lassen sich touristisch nun mal schlecht nutzen!
Stell dir nur mal die Grünlandregionen in den Alpen ohne  Milchkühe vor!
Es gibt sicherlich Einkommensalternativen zur Landwirtschaft,aber der Erhalt der Kulturlandschaft durch tier- und umweltgerechte Landwirtschaft ist der Dreh- und Angelpunkt für die ländliche Bevölkerung der EU!

Viele Grüße an alle!

ratzmoeller

Offline Margit

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #11 am: 24.02.03, 16:55 »
Hallo zusammen,

der Vergleich mit dem Esel und der Gelben Rübe gefällt mir. Einer ruft, und alle anderen rennen ohne zu denken.

Es ist  nicht nur das Mehr an Arbeit, wenn man den Betrieb vergrößert. Es fallen auch sehr hohe finanzielle Kosten an. Man muß Quote kaufen, in Tiere und Gebäude investieren. Man melkt ja nicht nur mehr
Milch, man hat auch mehr Tiere.
Ein Beispiel, wie ein Wochenende aussehen kann, wenn 2 Personen einen 600 000kg  Milchviehbetrieb haben:
inerhalb von 2 Wochen werden 11 Kälber geboren, davon allein am Donnerstag 5, das letzte gegeg 21.30 Uhr.  
Frau kommt um 19.00 Uhr von der Arbeit nach Hause und beginnt mit der Versorgung der Kälber, Mann beginnt mit dem melken, Frau unterbricht ihre Arbeit, melkt weiter, da Mann mit Tierarzt in Abkalbestall um eine Kuh mit Milchfieber zu behandeln, 21.30 Uhr unterbrechen des melkens um Geburtshilfe zu leisten, um 23.30 Uhr alle Kälber versorgt, alle Kühe gemolken und alles sauber und ruhig. Wir gehen nach Hause.
Am Freitag Kälber enthornen und am Samstag Haushalt.
Am Sonntag nachmittag Büroarbeit.
Natürlich sehen nicht alle Wochenden so aus. Man hat auch noch Zeit mal auszugehen. Es ist aber sehr schwer Freundschaften zu pflegen. Oft muß man Verabredungen kurzfistig absagen und nicht jeder hat dafür Verständnis. Zum Glück gibts BT.
Ich habe einen Mann, der sehr sehr selten seien Humor verliert und mich mit seinem Optimismus mitzieht.
Ich glaube auch, daß unser Betrieb eine Zukunft hat und dass, wenn die Kredite zu Betriebsaufstockung bezahlt sind und ich meine außerlandwirtschaftliche Tätigkeit an den Nagel hängen kann, es ruhiger und weniger hecktisch wird.
Aber noch vergrößern ist mit 2 Personen nicht zu schaffen.

Viele Grüße
Margit


Jolly

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #12 am: 24.02.03, 20:38 »
Hallo,

da ich ein 19 jähriges Bauerntöchterlein bin, stelle ich mir die Frage sehr häufig.

Leider bin ich zu keinem Ergebnis gekommen, jedoch eins steht für mich Fest.

"Ich will was mit Landwirtschaft machen"

Wahrscheinlich mache ich nach dem ABI erstmal keine landwirtschaftliche Ausbildung, sondern ein ldwsch. Studium.

Will aber vorher ein Praktikum auf nem großen Hof in den neuen Bundesländern machen, um mal richtig Stallluft zu schnuppern.  ;D      ;D

Ne im Ernst, will mir mal riesen Herden anschauen und dort ein wenig mitarbeiten.

Danach will ich eine Entscheidung treffen, mal sehen wie es wird ?  ??? ???

Mit freundlichen Grüßen
Jolly

Anita50

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #13 am: 24.02.03, 21:02 »
Hallo,

wenn ich das alles so lese, 600000kg Kontingent und mehr, und dann noch wie Margit eine außerlandwirtschaftliche Tätigkeit und danach noch in den Stall zum Melken, da komme ich mir richtig faul vor. Wir haben nur 125.000kg Kontingent und leben auch davon. Bis jetzt hat´s jedenfalls immer gereicht auch für neue Maschinen.
Für die Zukunft muss ich allerdings sagen wird´s mir auch richtig bange, wenn ich denke, dass der Milchpreis noch weiter fallen soll, und heute habe ich in der Zeitung gelesen, dass jetzt Aldi und ich glaub Lidl ins Frischfleischgeschäft einsteigen und da auch noch die Preise kaputt machen wie bei Milch. Ich darf gar nicht daran denken, dass wir noch mindestens 15 Jahre von der Landwirtschaft leben müssen. Ob wir danach eine Rente kriegen, steht auch auf einem anderen Blatt.
Ich freue mich, wenn es junge Leute gibt, die in der Landwirtschaft weitermachen, aber einfach wird es für sie bestimmt nicht werden. Wenn ich an unser Dorf denke, wer da noch übrigbleibt, und der muss dann die ganzen Flächen der andren mitbearbeiten. Da ergibt sich das Wachstum von ganz alleine.


Anita

moneypenny

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Re:Hat die Landwirtschaft eine Zukunft?
« Antwort #14 am: 25.02.03, 10:27 »
Mir geht es ähnlich wie Margit.
Nur unsere Quote ist nicht grade so groß, nur 400.000 Liter.
Tagsüber Höchstleistung bringen auf der Arbeit, du kannst dir keine Patzer erlauben, abends dann ab in den Stall. Melken, Mann ablösen beim Melken, Hausaufgaben, Kinder, Haushalt, Schnapsbrennerei.
Viele Leute fragen mich öfters als mir lieb ist, wie ich das alles schaffe. Aber es geht eigentlich ohne Stress.
Die innere Einstellung machts, oft ist die Landwirtschaft eben einfach nur schön!

Bei mir ist es allerdings so, dass ich meinen externen Beruf nicht aufgeben möchte. Ich war viele Jahre zu Hause und habe in der Zeit Weiterbildung gemacht, also Schule, Meisterin Hauswirtschaft, um im Betrieb klarzukommen.
Jetzt mache ich eben beides.
Das Geld tut dem Betrieb gut und die Anerkennung im Beruf tut mir gut.

Leicht ist es nirgends, egal wo du stehst!