Autor Thema: Leben mit Behinderungen  (Gelesen 21678 mal)

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Offline reserlTopic starter

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Leben mit Behinderungen
« am: 09.01.03, 14:17 »
Nicht behindert zu sein
ist kein Verdienst
sondern ein Geschenk,
des jedem von uns
j e d e r z e i t
genommen werden kann.



Wann ist ein Mensch behindert?
Wer legt die Norm fest?   ???

Wer Angehörger von behinderten Menschen ist, selbst behindert ist oder behinderte Kinder hat, weiss wie schwer sich die Gesellschaft oftmals damit tut.
Oft gibt es große Berührungsängste.

Hat jemand Erfahrungen zu diesem Thema?
lieben Gruß
Reserl



Manchmal ist es ein großes Glück,
nicht zu bekommen, was man haben will.

Offline martina-s

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #1 am: 09.01.03, 21:10 »
Hallo,
das ist vielleicht ein Thema! Nicht, dass ich erschrocken darüber wäre, oder Probleme mit behinderten Menschen hätte....
Oft genug war ich in meinem Leben mit behinderten Menschen zusammen oder eben konfrontiert. Beruflich aber auch privat.
Ich habe mir da schon sehr viele Gedanken dazu gemacht. Und ich glaube, ich könnte als Nichtbehinderter direkt ein Buch schreiben über die Gefühle, die in mir bei diesem Thema hochkommen.
Ich bin die Tochter einer behinderten Mutter. Meine Mutter hatte als 12 jähriges Mädchen wenige Tage nach Kriegsende eine Handkranate im Garten aufgehoben, diese war natürlich explodiert und seither hatte meine Mutter die linke Hand verloren und auch ein Schienbein wurde durch ein künstliches ersetzt.
Eigentlich hat sie ihr Leben toll gemeistert. Sie war trotz fehlender Hand eine unheimlich tolle Strickerin. Sie hat mich großgezogen und war trotz Schmerzen mitten im Leben, was Wissen und Phantasie anging.
Leider lebte sie eher zurückgezogen. Und wenn ich mir genau überlege, hatte sie immer Minderwertigkeitsgefühle. Ich mußte im Sommer Strickpullis anziehen, wenn auch ohne Ärmel, aber immerhin Nadelstärke 3. Andere hatten bei + 30°C T-shirts an!
Sie wollte sich damit eben beweisen, dass sie eben nicht weniger wert ist, indem sie stricken konnte. Das haben auch viele bewundert. Heute sehe ich das so, damals hätte ich die Pullis vernichten können! Und es gab oft Streit deswegen.
Als Kind habe ich immer ein mongoloides Mädchen betreut. Dem mag es wohl weniger aufgefallen sein, dass sie nicht so ist wie andere Kinder.
Während meines Berufes hatte ich oft mit Menschen zu tun, die wegen ihrer Behinderung oft verletzllich waren und aggressiv auf andere zugingen, obwohl man es ihnen oft nur gut meinte.
Ich denke, es ist immer eine Gradwanderung. Es ist schwierig, wenn man eine Behinderung hat und deswegen nicht so frei und ungezwungen leben kann. Man begibt sich als Behinderter vielleicht auch unbewußt in eine Rolle, in der man schon erwartet, angeschaut zu werden, weil man nicht so ist wie andere.  
Damit presst man den Nichtbehinderten, der einem vielleicht nur helfen möchte und ganz normal eine Begegnung zustande bringen will, in eine Schublade, die dann so aussieht: "Du hast ja nur Mitleid mit mir"
Das ist es, warum es oft so schwer ist, mit Behinderten Menschen umzugehen.
« Letzte Änderung: 09.01.03, 21:14 von martina-s »
Liebe Grüße
Martina

Offline steilufer

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #2 am: 12.01.03, 22:21 »
Guten Abend Euch allen,

meine erste Berührung mit einembehinderten Menschen war das Down Syndrom Kind einer Freundin.Da war ich schon mitte 30.
Sind wir nicht alle oft so unbeholfen und unsicher im Kontakt mit Behinderten gleich ob nun geistig oder körperlich,weil sie nur selten in "normalen" Kindergärten oder Schulen zu sehen sind?Würde es nicht leichter fallen,wenn es schon früh gelernt und dadurch als etwas selbstverständliches kernnengelernt würde?

Nachdenkliche Grüße
Karen von der Ostsee
Liebe Grüße

Karen von der Ostsee

Offline Ingrid2

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #3 am: 16.01.03, 16:23 »
Hallo zusammen,
bin ganz zufällig zum Forum gestoßen und ganz neu hier. Aber das Thema Behinderungen hat mich sofort interessiert. Und zwar alls unmittelbar Betroffene. Mein Sohn hat Mosaik-Trisomie 9, also das neunte Chromosom ist zum Teil dreimal vorhanden (falls sich jemand nicht so auskennt :). Er ist jetzt fast 5 Jahre alt. Er kann weder sitzen, noch stehen, kann den Kopf nicht gut halten. Außerdem ißt er keinen Brei, sondern nur hochkaloriege Milchnahrung aus der Flasche mit Sauger. Das nur zur Erläuterung.
Daß das Leben mit diesem behinderten Kind nicht ganz einfach ist, das könnt ihr euch sicher vorstellen. Aber das ist nur die eine Seite. Andererseits verschieben sich die Wertigkeiten, man sieht vieles aus einem anderen Blickwinkel. Auch seine Mitmenschen. Ich stelle mittlerweile viele Normen in Frage.
Bei uns aufm Dorf kennt jeder den Moritz (so heißt er), das ist eigentlich kein Problem. Für die Nachbarkinder und auch meine eigenen Kinder ist der Umgang mit Moritz kein Problem. Und wenn man mit seinen Mitmenschen normal umgeht, kommt man auch mit den meisten klar. Mir ist am liebsten, wenn ich einfach gefragt werde, was mit Moritz los ist. Da kann man viel leichter ins Gespräch kommen.
Noch ne ganz bescheidene Frage: Gibts vielleicht ne Bäuerin, die auch so´n Kind hat? Diese Behinderung ist extrem selten, deshalb würd ich mich freuen, wenn sich jemand meldet.
Ingrid

Offline martina-s

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #4 am: 16.01.03, 21:09 »
Hallo Ingrid,
müßte jetzt eigentlich ín einem Fachbuch nachlesen. Will ich mir aber nun ersparen, wo ich nun auch Dich fragen kann. Also ich hab von dieser Behinderung noch nie gehört. Vermute zwar, dass es in meiner Heimat auch so ein Kind gab, dass aber immer versteckt zu Hause gelebt hat. Kann sich aber auch um eine andere Behinderung/ Erkrankung gehandelt haben.
Wie ist dann Euer Moritz geistig. Ich meine kannst Du Dich mit ihm normal unterhalten und ist er dem Alter entsprechend geistig entwickelt. Bin nicht neugierig, aber weil nun schon das Thema hier im Forum ist. Vielleicht findet sich ja noch eine Bäuerin mit dem gleichen Kind. Wäre sicher schön, wenn sich da Betroffene austauschen könnten.
Liebe Grüße
Martina

Offline Ingrid2

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #5 am: 19.01.03, 17:19 »
Hallo Martina,
nett, daß du dich dafür interessierst. Also, diese spezielle Chromosomenveränderung ist sehr sehr selten. Es gibt auch in Büchern sehr wenig darüber bzw. überhaupt nichts. Nachdem bedingt durch die Mosaikform nicht alle Zellen betroffen sind, kann man auch nicht abschätzen wie sich die Behinderung äußert. In den meisten Pubilkationen zu Trisomie 9 werden sehr extreme Veränderungen beschrieben. Die meisten Kinder sterben kurz vor oder nach der Geburt aufgrund von z.B. Herzfehlern, Leber- oder Nierenproblemen oder sonstigen Dingen. Wir haben auch bis jetzt keinen Arzt gefunden, der uns genaueres sagen konnte. Die haben bis jetzt alle so ein Kind noch nicht gesehen. Das nur zum Grundsätzlichen.

Moritz ist entgegen jeder Erwartung körperlich (fast) gesund. Nur eine Hüfte stimmt nicht ganz. In der geistigen Entwicklung ist er aber sehr sehr weit zurück. Nachdem wir in den ersten 2-3 Jahren nicht sicher waren, ob er hört und sieht, hat sich das jetzt aber soweit normalisiert. Er hört und sieht sicher. Was aber letztendlich als Information im Gehirn ankommt, das ist nicht so sicher. Moritz kann nicht sprechen, aber er kann lachen und weinen und schreien wie jedes Baby. Er kann sich ganz gut selbst beschäftigen (mit Rasseln udn allem das Geräusche macht), ist aber nur ganz ungern allein.

Moritz kann Menschen unterscheiden, mag seine Geschwister, hat aber auch Menschen, die er nicht mag. Genauso ist es, wenn wir irgendwo unterwegs sind. Wenn Moritz keine Lust mehr hat, dann gehen wir auch mal vorzeitig nach hause. Er hat also schon einen eigenen Willen, aber wie gesagt, alles ist nicht so einfach.

Zu den Kontakten: Aus einem anderen Forum kenn ich mittlerweile 2 oder 3 Kinder mit dieser Trisomie, kommen aber aus einem ganz anderen Umfeld.

So, mehr fällt mir im Moment nicht ein. In den letzten fast 5 Jahren hat sich unser Leben so grundsätzlich geändert wie ich mir das kaum vorstellen konnte. Aber schlechter ist das nicht geworden, nur anders. Vielleicht haben wir betrieblich einiges umgestellt, aber das hätte auch so kommen können. Ich bin jetzt nicht mehr so aktiv und "praktisch" beteiligt wie früher, aber ist das so schlimm?

Viele Grüße Ingrid

Offline reserlTopic starter

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #6 am: 02.02.03, 19:41 »
Beim PC-Aufräumen hab ich heute einen Text gefunden, der gut zu diesem Thema passt:



WILLKOMMEN IN HOLLAND!

Ich werde oft gefragt zu erklaeren wie man sich fuehlt ein Kind aufzuziehen, das eine Behinderung hat--- um Leuten das Gefuehl diese einzigartige Beziehung zu erklaeren benutze ich gerne eine Parable. ES IST SO

Wenn man ein Baby bekommt, ist es so als ob man sich auf eine fantastische Reise begibt---nach Italien. Man kauft eine Menge Touristen Buecher und macht wundervolle Plaene. Das Koliseum. Den Michaelangelo David. Die Gondeln in Venedig. Man lernt bestimmt auch ein paar Woerter auf Italienisch. Kurz, es ist eine sehr schoene Zeit.

Nach einigen Monaten der schoenen Vorbereitung ist endlich der grosse Tag da !!! Du packst deine Koffer !!! Einige Stunden spaeter, das Flugzeug landet. Die Stewardess kommt und sagt "Wilkommen in Holland".

Holland? sagst du. "Was meinen Sie? Ich habe doch einen Urlaub nach Italien gebucht!!! Ich soll doch in Italien sein. Mein ganzes Leben habe ich davon getraeumt nach Italien zu fliegen."

Aber da war eine Flugplanaenderung. Der Flieger ist in Holland gelandet und du must da bleiben.

Das wichtige ist, dass du nicht in einem dreckigen, seuchenverpesteten Land gelandet bist. Es ist nur anders !!

Also, jetzt faengst du wieder an und kaufst neue Touristen Buecher. Du musst jetzt eine voellig neue Sprache lernen. Und du wirst eine total neue Gruppe von Menschen treffen, die Du vielleicht niemals kennengelernt haettest, wenn Dinge anders waeren.

Es ist nur ein anderer Ort. Es ist langsamer als Italien, vieleicht nicht so viel Glamour. Aber wenn du eine Zeit lang dort bist, merkst du schnell, dass es auch seine Vorteile hat. Du faengst an Dich umzuschauen: Holland hat wunderschoene Windmuehlen, Holland hat Tulpen, Holland hat sogar Rembrandt.

Aber jeder, den du kennst, ist zu beschaeftigt die Schoenheit Hollands zu erkennen, denn alle sind auf dem Weg nach Italien. Alle erzaehlen wie toll es doch in Italien ist und was fuer eine tolle Zeit der Urlaub doch war. Und --- Fuer den Rest deines Lebens wirst du dir sagen, "Ja, das ist der Urlaub den ich geplant hatte ! (Italien) Da wollte ich auch hin!!"

Und das Gefuehl verletzt zu sein, einen Traum verloren zu haben wird nie verschwinden. Denn ein grosser Traum ist nicht wahr geworden, ein grosser Verlust!!!

Aber wenn du immer und immer wieder den Verlust deines Italien Urlaubs beweinst, wirst du niemals die Schoenheit Hollands und dessen spezielle Sehenswuerdigkeiten sehen, kennen und lieben lernen. Denn Holland ist genauso wie Italien eine Erfahrung fuer sich und den Betrachter.

Emily Pearl Kingsley





lieben Gruß
Reserl



Manchmal ist es ein großes Glück,
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Offline maggie

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #7 am: 02.02.03, 21:56 »
guete abig,

wir haben bei uns im dorf ein junges mädchen - jetzt 18 - mit dem down syndrom - (mongoloid) -
bis zur 2. klasse besuchte sie die schule im dorf - und zwar haben wir (schulbehörde, lehrerin und eltern) einfach entschieden ohne jemanden zu fragen - wie stellten das erziehungsdepartement in schaffhausen (ist zum glück weit weg - 25 km - undsie wissen dass in unserem dorf manchmal über ihren kopf hinweg bestimmt wird.... - mussten sich damit abfinden - konnten nicht das ganze dorf büssen )-
zum glück hatten wir noch eine ausgebildete lehrerin für behinderte kinder - die hat ihr zusätzlich 2 -3 stunden wöchentlich zusätzlichen unterricht erteilt -

und ich glaube unsere kinder die mit ihr zusammen zur schule gingen (es waren immer 3 jahrgänge in einem zimmer) haben bestimmt einiges gelernt -

den sandra konnte sich wehren und war nicht hilflos im umgang mit (normalen) kindern

nun ihre mutter ist mit einer blinden schwester aufgewachsen (röteln während der schwangerschaft) - und obwohl diese körperlich behindert war und sandra geistig - hatte sie sicher von anfang an einen andern umgang mit ihrer tochter -
und hat sie immer sehr stark gefordert und das wurde dann auch in der heilpädagogischen schule festgestellt...

jetzt laufen ja an einigen orten pilotprojekte - da man festgestellt hat - dass das für beide seiten gar nicht so schlecht wäre -

aber wir mussten damals einiges einstecken - die andern würden zu wenig gefördert, usw. ....
liebi grüess   und
bis bald   -  ihr werdet mich  so schnäll nöd wieder los

margrith  us der schwiiz

Offline hildy

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #8 am: 02.02.03, 23:52 »
Eigentlich wäre mir lieber, ich könnte hier nicht mitreden!
Mein Sohn ist mit 18 Jahren verunglückt und hat seither einen gelähmten linken Arm. Er hat sein Leben trotzdem in die Hand genommen und ist stark geworden dadurch. Auch unsere Familie hat viel gelernt , vor allem, dass der Wert eines Menschen nicht an seiner Unversehrtheit hängt!
Nun hat er auch eine liebe Freundin gefunden, das macht mich glücklich. Diese junge Frau hat meinen Sohn so lieb, wie er ist, ohne Wenn und Aber und dafür bin ich dankbar.    Hildy
Hildy us em Baselbiet, CH

Offline martina-s

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #9 am: 03.02.03, 10:43 »
Hallo Ingrid und alle anderen,
hab mir die Beiträge auf dieser Seite alle noch einmal durchgelesen.
Finde das Thema ist hier im Forum wichtig, weil es doch viele Menschen gibt, die planen nach Italien zu fahren und wachen dann in Holland auf. Der Beitrag ist so tiefgründig... und auch wieder so schön...

Für Dich Ingrid ist die Sorge um Dein Kind und das ist sicher nicht einfach. Aber mir gefällt es, wie der Junge mit Euch mitlebt. So intensiv und mitten im Geschehen.
Das ist sicher seine und Eure Lebensbahn.

Wenn man vorher alles gesunden Glieder haben durfte und dann plötzlich vor dem Aus steht, weil man tragisch eine Behinderung erfährt, dann ist Umdenken angesagt. Ich glaub, das schafft auch nicht gleich jeder. Was der einzelne daraus macht, das ist sicher auch dann ein Teil seiner Grundhaltung, wie man damit umgeht und wie mit einem umgegangen wird.

Was mir beim lesen der vielen Zeilen durch den Sinn ging: Habe ich so eine gute Meinung von den Leuten hier im Forum? Ich denke, dass hier Menschen sind, die alle gut mit so etwas umgehen können?!

Wir haben hier im Kindergarten auch die Möglichkeit, behinderte Kinder zu integrieren. Da kommen allerdings immer für ein paar Stunden Fachkräfte aus der Kreisstadt, die solche Kinder dan speziell fördern.
Liebe Grüße
Martina

Offline Ingrid2

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #10 am: 06.02.03, 09:16 »
Hallo Martina und auch alle anderen,
zwecks deiner guten Meinung zu den Leuten hier im Forum: Ich gehöre sicher nicht zu den ganz guten Menschen, frag meine SM  ;D, sie wird dich gern vom Gegenteil überzeugen. Aber mit der Behinderung von meinem Moritz habe ich mich zwei lange Jahre intensivst auseinandergesetzt, habe sehr viele dunkelschwarze Stunden erlebt und Tage, die nicht aufhören wollten. Und dann muß man irgendwann mit sich ins Reine kommen. Und da diese Behinderung keine "Strafe Gottes" sein kann, denn das gibt keinen Sinn, dann muß man lernen, das so anzunehmen. Es gibt heute noch immer wieder so schwarze Löcher, aber sie sind jetzt nicht mehr so tief und auch nicht mehr so lang. Da sind mir mein Mann und die anderen Kinder natürlich die beste Hilfe. Es betrifft bei behinderten Kindern doch meistens in erster Linie die Mütter, die nicht weglaufen können und sich viel stärker auseinandersetzen müssen.

Die Geschichte mit Italien ist super. Das trifft den Kern. Aber eine Überlegung: Wären wir so glücklich in Italien? Viele Träume sind in Wirklichkeit doch gar nicht so toll, vielleicht wäre Italien weder so warm noch so interessant wie wir uns das vorstellen. Und noch was: Müssen alle unsere Vorstellungen und Wünsche wirklich in Erfüllung gehen? Wäre das wirklich gut? Dann bräuchten wir keinen Glauben und keinen Gott. Wo bliebe da das so einfach gebetete: Dein Wille geschehe. Das sagt sich so leicht, man denkt immer, das betrifft nur die anderen und sich selbst doch nicht. Wenn es ernst wird, da sieht die Sache doch ganz anders aus.

Was meint ihr dazu?????????????

Ingrid

moni

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #11 am: 06.02.03, 11:54 »
In unserer Ortschaft gibt es einen mongoloiden Jungen Mann, der ist dreißig Jahre alt (obwohl er viel, viel jünger aussieht).
Er ist total selbstständig, er geht alleine einkaufen und ist sehr gesprächig.
Ich hab ihn kennengelernt, weil ich eine zeitlang in einem Obstgeschäft gearbeitet habe und ihn oft bedient habe.
Wenn ich an Holger denke, muß ich immer lachen. Er sagte immer: Guten morgen, schöne Frau! zu mir und meiner Chefin mußte ich immer einen schönen Gruß sagen.
Es freut mich für ihn, daß ihn seine Mutter nicht versteckt und nicht verhätschelt hat. Sie hat ihm immer viel zugetraut und ermutigt, so hat sie ihn selbstständig werden lassen.
Das freut mich für den Holger.

Liebe Grüße
Moni

Offline martina-s

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #12 am: 06.02.03, 14:16 »
Da fällt mir auch noch was ein. Wir waren im letzten Advent in Dießen am Christkindlmarkt. Da gab es einen Stand, an dem konnte man, wenn man geschickt war einen Walnuß mit einem Schnitzelklopfer zertrümmern. Die Nuß kam da aus einer Röhre geschossen und man mußte sich darauf einstellen die zu erwischen. Traf man sie, bekam man einen Halbedelstein.
Da war auch ein junger Mann mit Downsyndrom mit am Stand.
Der hat da so eine Stimmung gemacht. Da passte einfach alles. Das war so herzlich. Wenn der nicht vorort gewesen wäre, dann hätte sich da sicher niemand die Mühe gemacht dafür einen Euro auszugeben.
Der junge Mann erschien mir auch so selbstständig. Sicher hat der auch eine Familie oder Gemeinschaft gehabt, die ihn toll gefördert haben.
Liebe Grüße
Martina

Offline blackscreen

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #13 am: 07.02.03, 14:57 »
Hallo zusammen,

ich finde es toll, dass sich hier soviele zu dem Thema Behinderung gemeldet haben. Die Resonanz zeigt doch, dass Behinderungen keine "Randerscheinungen" sind, fast jeder von uns kennt einen Behinderten. Reserl, danke für diesen Beitrag, den Du hier reingestellt hast. Der Vergleich ist super, den werde ich ab jetzt wohl häufiger mal verwenden. Mir fällt noch ein Spruch dazu ein: Behindert ist man nicht, behindert wird man.

Ich habe selbst eine behinderte Schwester und Cousine. Duch die Beiden ist der Umgang mit Behinderungen für mich normal, nichts außergewöhnliches, nur anders (so wie jeder andere Mensch auch anders ist). Meine Schwester, mittlerweile 33, hat das Goldenhar-Syndrom. Das hat unterschiedlichste Auswirkungen, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Bei ihr sind es: Schwerhörigkeit auf einem Ohr, Taubheit auf dem anderen auch äußerlich nicht richtig ausgebildetem Ohr, Skoliose (seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule, Doppel-S) dadurch schiefe Hüfte und Hang zum Buckel, um nur einige zu nennen. Meine Eltern haben hart darum gekämpft, dass sie auf eine normale Schule gehen kann. War damals auch zu DDR-Zeiten nicht ganz einfach. Sie kann durch intensives Training normal sprechen (viele merken ihr gar nicht an, dass sie fast taub ist und sind dann immer ganz erstaunt, wenn an sie darauf hinweist). Anke, so heißt sie, hat eine Lehre sowie Umschulung gemacht und arbeitet jetzt bei einer Krankenkasse und berät dort unter anderem Kunden...am TELEFON. *superstolzaufsiebin* Sie zieht aus ihrere Schwerhörigkeit auch viel positives. Wenn ihr ein Sitznachbar unsympathisch ist und sie sich nicht unterhalten möchte oder ihr die Musik in einer Disko zu laut, stellt sie einfach ihr Hörgerat ab

Meine Cousine (19) ist schwerstbehindert (ob die Krankheit einen Namen hat, weiß ich nicht). Sie kann nur im Rollstuhl sitzen (sitzen zu lernen, war für sie ein Riesenfortschritt), nicht reden, nicht sehen, aber mittlerweile allein den Kopf halten. Die beiden Beispiele sind sicher schlimm und keiner wünscht sich oder anderen, selber so ein Kind zu haben. Aber wenn sie erst mal da sind, sind sie eine echte Bereicherung. Wer das Lachen hört, wenn man den Rollstuhl meiner Cousine nach hinten kippt (natürlich festhält) oder sie durchkitzelt, der ist wirklich verzaubert.

Wieviel diese Menschen leisten, kann sich jeder gern in Werkstätten für Behinderte ansehen (u.a. Weihnachtsbasar). Dort leistet jeder seinen Beitrag ihm Rahmen seiner Möglichkeiten (wenn man ihn denn lässt, viele Eltern trauen ihren Kindern einfach zu wenig zu). Ich habe dort so viele mutmachende Beispiele und vor allem glückliche Menschen gesehen...die aufzuzählen würde diese Nachricht noch viel länger machen.

Jeder sollte sich vor Augen halten, dass er von jetzt auf gleich auch behindert sein kann. Ein Autounfall, eine Krankheit reichen da schon aus. Also, behandelt Behinderte wie andere Menschen auch, wenn ihr Hilfe anbietet, fragt vorher, ob sie diese auch wollen und wenn man etwas nicht versteht...fragen hilft (Das hört sich jetzt sehr nach erhobenem Zeigefinger an, aber bestimmte Sachen gehen mir einfach gegen den Strich..sorry).

(Das war jetzt aber wirklich etwas lang.)
Liebe Grüße aus Thüringen
Gerit

Offline regi

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Re:Leben mit Behinderungen
« Antwort #14 am: 07.02.03, 20:22 »
Eure Erfahrungen sind sehr beeindruckend! Die Geschichte von Holland und Italien will ich ausdrucken, sie sagt so viel aus!

Mir wird bewusst, wie selbstverständlich man die Gesundheit nimmt, wenn man sie hat. Viel zu sehr! Und meistens gehen wir fahrlässig um mit ihr, fordern sie heraus.

Wir sind uns nicht unbedingt gewöhnt, mit Behinderten umzugehen. Früher hatte es doch in jedem LW-Betrieb Menschen mit Behinderungen, die ihre festen Aufgaben und Arbeiten hatten, man lebte ganz selbstverständlich mit ihnen.

Offen reden mit Behinderten, auf sie zugehen und fragen, ob sie Hilfe möchten - das finde ich sehr, sehr wichtig! Als "Gesunde" kommt man sich oft so unbeholfen vor, da ist man froh um ihr Verständnis.
Was mich sehr ärgert: wenn man in der 3. Person zu ihnen spricht, wie wenn sie nicht da wären.

Ich wünsche Ingrid und allen andern Mütter, Vätern, Geschwistern von direkt betroffenen Menschen immer, wenn sie in einen dunklen Tunnel kommen, viel Mut und Energie um wieder herauszufinden!
Tschüss zäme
regi