München (agrar.de) – Der Bayerische Bauernverband (BBV) ist entrüstet, dass beim Agrarrat vor allem Kommissar Fischler bislang keinen Weg eingeschlagen hat, der die Bäuerinnen und Bauern im Wettbewerb stärken und echte Zukunftsperspektiven ermöglichen würde. Gerade in der derzeit sehr angespannten wirtschaftlichen Situation – vor allem aufgrund des Preisdrucks auf den Agrarmärkten und der ständigen Diskussion neuer Belastungen auf bundespolitischer Ebene – hätten unsere Bauernfamilien ein ermutigendes Signal für die bäuerliche Landwirtschaft erwartet. Völlig unverständlich ist, dass Kommissar Fischler bisher die Stellungnahme des Europäischen Parlaments, des von den Bürgern legitimierten EU-Organs, nicht berücksichtigt. Das Europäische Parlament hat aufgrund der konstruktiven politischen Arbeit der europäischen Bauernverbände wesentliche Standpunkte und Anliegen des Berufsstands berücksichtigt.
Die EU-Kommission hat stets betont, eine Agrarreform sei notwendig, um vorhandene Überschüsse abzubauen, die Erzeugung umweltgerechter zu machen und die Qualität der landwirtschaftlichen Produkte zu verbessern. Die bayerischen Bäuerinnen und Bauern können diese Argumentation nicht nachvollziehen. Sie erzeugen hochwertige Nahrungsmittel, wirtschaften nach dem Nachhaltigkeitsprinzip und produzieren für die Märkte entsprechend der Verbrauchernachfrage. Dafür sprechen auch die Fakten. Rund 50 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Bayerns werden freiwillig nach besonderen Umwelt- und Naturschutzkriterien bewirtschaftet. Die hohe Qualität der bayerischen Produkte ist dafür verantwortlich, dass jährlich Käse und Milch im Wert von rund 1,5 Mrd. Euro exportiert werden. In ihren eigenen Marktprognosen bewertet die EU-Kommission die mittelfristigen Aussichten für die meisten landwirtschaftlichen Produkte als weitgehend positiv – also ausgeglichene Märkte und keine gravierenden Überschussprobleme. Die Exporterstattungen wurden in den letzten zehn Jahren von 37 Prozent auf acht Prozent Anteil am EU-Agrarhaushalt zurückgeführt. Dies zeigt auf, dass bereits die bestehenden agrarpolitischen Grundregeln deutlich weniger Unterstützung für die Agrarexporte erfordern.
Die nach dem aktuellen Stand der Verhandlungen im Agrarrat geplante Reform würde für die bayerischen Bauernfamilien rund 350 Mio. Euro Einkommenseinbußen pro Jahr bedeuten. Darüber hinaus würden Modulation, Cross-Compliance und das diskutierte Entkoppelungssystem die Bauernfamilien mit einer neuen Welle von Bürokratie belasten. Davon betroffen sind gleichermaßen herkömmlich und ökologisch wirtschaftende Betriebe.
Die von der EU-Kommission selbst propagierten Ziele für eine Agrarreform – Stärkung bäuerlicher Betriebe, weniger Bürokratie, mehr Umwelt- und Tierschutz – werden mit dem vorgeschlagenen Konzept keinesfalls erreicht. Gleichzeitig wird für die WTO-Verhandlungen jegliche Grundlage zur Sicherung der multifunktionalen bäuerlichen Landwirtschaft in der EU verlassen. Die Hauptkontrahenten der EU bei den WTO-Verhandlungen würden diese offensichtliche Schwäche der EU zu weiteren Angriffen auf die europäische Landwirtschaft nutzen. Dies ohne Not, weil grundsätzlich mit der Agenda 2000 die Verhandlungsgrundlage für die laufende WTO-Runde geschaffen wurde.
Viele bäuerliche Unternehmerfamilien, besonders in den benachteiligten Gebieten, wären damit in ihrer Existenz gefährdet. Damit stehen nicht nur Arbeitsplätze in der Landwirtschaft und im gesamten ländlichen Raum auf dem Spiel, sondern auch die heimische Nahrungsmittelerzeugung. Die Land- und Forstwirtschaft und ihre vor- und nachgelagerten Bereiche stellen in Bayern über 700.000 Arbeitsplät-ze. Auch die attraktive Kulturlandschaft Bayerns wird nur bestehen bleiben, wenn eine flächendeckende Landbewirtschaftung aufrechterhalten werden kann.
Zu den speziellen Bereichen der Agrarratsverhandlungen stellt der Bayerische Bauernverband Folgendes fest:
Gewaltiger Preisdruck durch Eingriffe bei Milch und Getreide
Bei der Milch würden nach wie vor die geplanten früheren und stärkeren Preissenkungen und das Festhalten an der bereits beschlossenen Quotenaufstockung im Jahr 2005 einen starken, zusätzlichen Preisdruck erzeugen. Die Folgen wären dramatisch: Die 55.000 bayerischen Milchviehbetriebe würden durch diesen Vorschlag in der Endstufe ab 2008 rund eine Viertel Milliarde Euro pro Jahr zusätzliche Einkommensverluste haben. Faktisch würde die Milch von der Politik endgültig zum reinen Discountprodukt degradiert. Unter den geplanten politischen Vorgaben würde vor allem in benachteiligten Gebieten wie Mittelgebirgen und Voral-pen sowie bei kleinen und mittleren Betrieben der Erlös nicht einmal mehr die Produktionskosten decken. Bereits aktuell ist für die Milchbetriebe aufgrund der ohnehin schon niedrigen Milchpreise die wirtschaftliche Situation sehr angespannt. Mit den in Luxemburg diskutierten Vorhaben steht auch die mit der Milchviehhaltung verbundene Pflege und Erhaltung der Kulturlandschaft sowie die Zukunft der Molkereien auf dem Spiel.
Der Bauernverband hat von der EU-Kommission und den EU-Agrarministern ein echtes Bekenntnis zur Fortführung der Milchmarktordnung über 2008 hinaus ge-fordert, so dass sie für die melkenden Betriebe einen Nutzen hat: Aussetzung des bestehenden Agenda-2000-Beschlusses zur Aufstockung der Milchmenge, flexiblere Mengensteuerung nach Marktlage, volle Kompensation von politischen Preissenkungen und wirksamer Außenschutz. Der aktuelle Beratungsstand berücksichtigt diese Anliegen für eine echte Perspektive der Milchbetriebe, die überwiegen auch das Grünland bewirtschaften, völlig unzureichend.
Bereits zur Ernte 2002 haben die Getreidepreise ein Niveau erreicht, dass ein Bauer sich aus seinem Erlös für 50 Kilogramm Getreide nur mehr 25 Semmeln leisten kann, wohingegen aus dieser Menge 1.100 Semmeln gebacken werden. Vor zehn Jahren konnte sich der Bauer aus dem Getreideerlös noch über 50 Semmeln kaufen. Nach wie vor erwartet der Bauernverband deshalb von den Agrarratsberatungen, dass es letztlich zu keinen weiteren Preissenkungen für Getreide kommen darf. Auch die internationale Marktlage rechtfertigt keine zusätzlichen Preiseingriffe.
Modulation – Kürzung und Umschichtung zu Lasten wirtschaftender Betrie-be
Die Modulation ist kein geeignetes Instrument, um wirtschaftende Betriebe besser zu stellen. Die aktuell ab 2005 diskutierten Kürzungen würden rasch ansteigen und ab 2007 in Bayern über 40 Prozent der bayerischen Betriebe mit Direktzahlungen – bäuerliche Familienbetriebe – betreffen. Diese Kürzung der Preisausgleichszahlungen würde für unsere Bauernfamilien einen deutlichen zusätzlichen Einkommensdruck bedeuten. Ein Ausbau der Förderung des ländlichen Raums (‚zweite Säule‘ der EU-Agrarpolitik) darf nicht zu Lasten wirtschaftender Familienbetriebe erfolgen.
Cross-Compliance – Gefahr von Wettbewerbsnachteilen
Trotz einer zwischenzeitlich reduzierten Vorschriftenliste können von der Verknüpfung der Direktzahlungen mit zusätzlichen Auflagen im Bereich Umwelt-, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit (Cross-Compliance) erhebliche Probleme ausgehen. Wenn Auflagen, die bisher über Agrarumweltprogramme (KULAP) abgegolten wurden (z.B. Umbruchverbot Grünland) zur Vorbedingung für die Direktzahlungen erhoben werden, kann dies das Aus für bedeutende Programmbereiche nach sich ziehen. Außerdem werden bestehende Wettbewerbsnachteile für Länder mit hohen Standards, wie z.B. Deutschland, zementiert, wenn die Direktzahlungen nicht an einheitliche europäische Kriterien, sondern an die nationale Umsetzung von EU-Bestimmungen gebunden werden.
Bürokratie ohne Ende
Der aktuelle Beratungsstand des Agrarrates zur Entkoppelung, zu Cross-Compliance und zur Modulation läuft auf eine bisher nicht gekannte bürokratische Belastung der Bauernfamilien, aber auch der Behörden von Bund und Ländern hinaus. In der Diskussion der Entkoppelung soll neben dem bisherigen System der gekoppelten Direktzahlungen gleichzeitig das System von entkoppelten Direktzahlungen auf jeden einzelnen Betrieb angewandt werden. Anstatt dem Vorschlag des Bauernverbandes nach Vereinheitlichung und weiterer Pauschalierung im Sinne von Bürokratieabbau und Vereinfachung zu folgen, ist jetzt ein irrsinnig kompliziertes Verfahren mit einem ‚alten‘ und einem ’neuen‘ System Diskussionsstand. Und das vor dem Hintergrund, wo sich Kommission und die beteiligten Agrarminister die Entbürokritisierung groß auf die Fahnen schreiben. Hier scheint man zum Leidwesen der Bäuerinnen und Bauern gänzlich den Blick für die Praxis verloren zu haben.
Verwerfungen durch Entkoppelung
Die im Moment vorgesehene anteilige Entkoppelung der Direktzahlungen – ein gewisser Teil soll bleiben wie bisher – und Cross-Compliance würden nach wie vor in einer völlig undurchsichtigen, behördlichen Zwangswirtschaft enden. Ferner würde der jetzige Diskussionstand zur Entkoppelung zu weiteren Wettbewerbsverzerrungen führen, da für einzelne Staaten erhebliche Ausnahmen in einzelnen Produktbereichen (z.B. Rindfleisch) zugestanden werden und auch noch nationale Sonderwege ermöglicht werden sollen. Zudem sind durch die vorgeschlagene Entkoppelung massive Verwerfungen innerhalb der europäischen, nationalen und regionalen Landwirtschaft zu befürchten. Auch zu einer höheren gesellschaftlichen Akzeptanz der Direktzahlungen würde die entkoppelte Betriebsbeihilfe nicht beitragen, da sie keinen Bezug zur landwirtschaftlichen Erzeugung hätte.
Stilllegung – Perspektive für nachwachsende Rohstoffe
Bislang ist die Kommission einzig bei der Stilllegung den Sachargumenten des Bauernverbandes voll gefolgt. Sie will nun entgegen ihres Vorschlags von Januar wieder die Rotationsstilllegung für alle Betriebe und den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen weiterhin zulassen.
Links zum Thema EU und Landwirtschaft, Links zum Thema Verbände.