14. März 2003

„Unfaire“ Bio-Produkte auf der Bio-Fach 2003

Themen: Archiv — info @ 15:03

München/Nürnberg (agrar.de) – Mit über 2000 Ausstellern aus 65 Ländern schlug die BioFach 2003 in Nürnberg wieder einmal alle Bio-Rekorde. Die Weltleitmesse für Bio-Produkte verzeichnete so viele Aussteller und Länderbeteiligungen wie nie zuvor. ‚Doch wo viel Licht ist, ist auch Schatten‘ meint dazu Norbert Suchanek, Fachjournalist für Umwelt- und Nord-Süd-Themen, im alternativen Anzeiger ‚Der Spatz‚.

Das Wachstum der BioFach scheine zumindest teilweise mit einem Verlust an ökologischer Qualität und Moral erkauft zu sein. Denn der gegenwärtig auf über 26 Milliarden Euro geschätzte internationale Markt für Bio-Lebensmittel mit seinen jährlich zweistelligen Wachstumsraten, gepaart mit niedrigen, von den großen Supermarktketten durchgesetzten Bio-Standards, rufe ‚Trittbrettfahrer‘ aus der Agrarindustrie auf den Plan, die der moralischen Glaubwürdigkeit der Bio-Branche kaum zugute kommen.

In Brasilien beispielsweise kämpfte der im vergangenen Jahr verstorbene, alternative Nobelpreisträger und Öko-Vorreiter, José Lutzenberger, bis zum Schluss vehement gegen die große Zitrusfrüchteindustrie Sao Paulos, die seiner Meinung nach rücksichtslos zahlreiche kleinbäuerliche Betriebe in Süd- und Südostbrasilien in den Ruin getrieben hat. Auf der BioFach 2003 durften sich nun aber gerade die ‚Großen‘ der Zitrusfürchteindustrie Sao Paulos als Öko-Betriebe präsentieren, nur weil sie einen kleinen Teil ihrer Produktion auf Bio umgestellt haben und die deutschen Supermärkte damit beliefern. Da ist zum Beispiel der brasilianische Votorantim-Konzern, der vor allem mit Agroindustrie, Chemie, Zement und mit der in Brasilien ökologisch katastrophalen Papier- und Zelluloseproduktion Geschäfte macht.

Sein auf der BioFach vertretenes Tochterunternehmen %url4%Citrovita%/% ist nicht nur einer der weltweit größten Hersteller und Vermarkter von konventionellem Orangensaftkonzentrat und Orangenprodukten. Citrovita beliefert auch die deutsche Supermarkt-Biomarke Füllhorn mit ihrem Billig-Bio-Orangensaft. Gleichfalls warb auf der Weltbiomesse in Nürnberg das Unternehmen %url5%Nova America%/%, das 110.000 Hektar Ackerfläche und 50.000 Rinder sein eigen nennt um deutsche Bio-Kunden. Denn so ganz nebenbei produziert dieser brasilianische Agro-Industriegigant jährlich 8.000 Tonnen konventionelles, gefrorenes Orangensaftkonzentrat sowie 15 Millionen Liter pasteurisierten Orangensaft, von dem wie im Falle von Citrovita ein kleiner Prozentsatz aus ökologischem Anbau stammt.

Der Einstieg solcher Agrargiganten in den Bio-Markt ist nur aufgrund der halbherzigen Bio-Standards des deutschen Bio-Siegels und der EU-Bioverordnung möglich, die es den Agrarproduzenten erlaubt, lediglich Teile ihres Betriebes auf Ökoproduktion umzustellen. Die konventionelle Agrarindustrie kann damit zweigleisig fahren, um auch die Kaufkraft der umweltbewussten Verbraucher abzuschöpfen, ohne wirklich Farbe bekennen zu müssen. Natürlich lässt sich nun argumentieren, die Umwelt könne doch froh sein, dass diese Konzerne wenigstens einen Teil ihrer Produktion auf Bio umgestellt haben. Tatsächlich führt das wohlkalkulierte Bio-Engagement der konventionellen Agrarindustrie dazu, dass die echten Öko-Produzenten, denen nicht nur der Profit, sondern ebenso die Ökologie wichtig ist und die deshalb ihren gesamten Betrieb auf Bio umgestellt haben, auf der Strecke bleiben. Sie verlieren die in Pionierleistung mühsam aufgebauten Marktanteile, weil ihre 100prozentigen Öko-Produkte mit den preiswerteren Erzeugnissen der nur teilweise umgestellten Agroindustrie kaum konkurrieren können.

Doch dies betrifft nicht nur die Orangensaftbranche, wie die auf der BioFach laut gewordenen Proteste von bayerischen Öko-Milchbauern und den traditionellen Bio-Anbauverbänden zeigten. Sie verlangten eine deutliche Verschärfung des von Bundesverbraucherministerin Renate Künast ins Leben gerufenen deutschen Bio-Siegels. Denn die nach strengen Bio-Regeln arbeitenden deutschen Öko-Bauern seien zu stark benachteiligt, weil importierte Billig-Bio-Produkte gleichfalls das ‚lasche‘ Bio-Siegel aus dem Hause Künast tragen dürfen. Das deutsche Bio-Siegel habe sich so – wie bereits im Vorfeld von vielen Kritikern befürchtet – faktisch zu einem Importförderinstrument entwickelt, statt die heimische, regionale Bio-Produktion zu stärken.

Die Präsentation von biologischen Soja-Produkten von brasilianischen Plantagen warf auf der Bio-Weltmesse in Nürnberg noch eine weitere Frage auf, die spätestens bei der nächsten BioFach, kommenden September in Rio de Janeiro, für regen Diskussionsstoff sorgen wird. Können Bio-Produkte umweltverträglich oder ökologisch und sozial verantwortbar sein, wenn für deren Anbau einheimische Menschen vertrieben oder Tropenwälder und andere ökologisch wertvolle Gebiete gerodet und zerstört werden, wie im Falle der Bio-Sojabohnen aus dem brasilianischen Mato Grosso?

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